Brille ist wieder da.

Mitten auf dem Deichsicherungsweg hat er es sich bequem gemacht. Da liegt er nun auf dem nackten Beton und lässt die Sonne auf seinen Pelz scheinen.

Brille ist ein Seehund ohne Scheu. Er taucht seit Monaten immer wieder am Jadebusen auf.

An einem Spätsommertag kam ich zufällig dazu und erlebte viel Aufregung. „Ist das Tier vielleicht krank – braucht es Hilfe?“

Michael, ein engagierter Naturschützer, hatte sein Fahrrad mit Abstand zu Brille zum Schutz quer über den Weg gelegt. Er kannte das schon.

Geduldig beruhigte er die Menschen und erklärte die Besonderheiten dieser Tierart.

Freundlich sprach Michael die Passanten an und bat um Abstand zum Tier. Es war ja schließlich zum Ausruhen auf den Deich gerobbt. Nicht alle hatten Verständnis.

„Wir Menschen sind hier in der Natur zu Gast“, sagte Michael.

Widerspruch kam prompt von der Gegenseite: „Tiere haben hier nichts zu suchen!“ sagte ein resoluter Mann und steuerte mit seinem Rad auf Brille zu.

Ich musste laut seufzen. Im 1. Testament der Bibel gibt es das Jesaja-Wort, wonach Bärin und Kalb sich anfreunden und auch der Löwe Stroh frisst.

An Platz mangelt es am Deich nicht, manchmal aber an Rücksichtnahme: Für alle Menschen, Räder und – unbedingt – auch für den respektvollen Abstand vor Brille, dem Seehund.

 

Miguel-Pascal Schaar

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