Bremen (epd). Manche Psychologen sehen in ihr einen Königsweg zur seelischen Gesundheit: Die Dankbarkeit lässt Menschen glücklicher werden, sagen Vertreter der sogenannten Positiven Psychologie. Oder mindestens zufriedener. Einige Experten gehen sogar davon aus, dass sich Dankbarkeit üben lässt, mit einem Dankbarkeitstagebuch beispielsweise oder mit einem Online-Programm inklusive "Dank-App". Und auch mit traditionellen Ritualen wie dem Erntedankfest, das Christen Anfang Oktober feiern.

"Dankbarkeit ist eine wesentliche Sozialisationserfahrung von Kindes Beinen an", sagt der Agrarbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Clemens Dirscherl. Eine Erfahrung, die seiner Auffassung nach nicht vom Himmel fällt, sondern erarbeitet werden muss. Denn: "Wer gelernt hat, nicht alle Wünsche erfüllt zu bekommen, wer nicht eingelöste Träume, Sehnsüchte, Herzenswünsche kennt und sich damit arrangieren konnte, ohne verzagt in Lebensfrust zu verfallen, der ist für Dankbarkeit empfindsamer."

Die Tradition des Erntedankfestes entstand in Agrargesellschaften, in denen sich alles um die Landwirtschaft drehte. In heutigen Überflussgesellschaften könnten viele den Erntedank am eigenen Leib nur schwer nachempfinden.

Und trotzdem sei das Danken wichtig, meint Renke Brahms, leitender Theologe der Bremischen Evangelischen Kirche. "Das Erntedankfest schärft den Blick für die Dinge, von denen wir leben", betont er. In seiner Funktion als Friedensbeauftragter der EKD weitet er den Blick: "Wir können danken für eine gewaltfreie und friedliche Wiedervereinigung und können trotz aktueller Konflikte auf die Früchte einer internationalen Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg schauen." Dank ist für ihn aber auch Verpflichtung. "Es bedeutet, nie aufzuhören, Wege zum Frieden zu suchen."

"Eine Gesellschaft, die aus der Dankbarkeit lebt, ist eine soziale Gesellschaft", schreibt EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm in einem Beitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit". Sie wisse, was sie denen schuldig sei, die weniger gesegnet seien. "Wer sein eigenes Leben, alles was er ist und hat, nicht vorrangig als das wohlverdiente Ergebnis der eigenen Anstrengungen versteht, sondern auch als unverdienten Segen Gottes, der teilt, was er hat."

Dass Dankbarkeit auch ganz persönlich auf jeden Menschen und seine Einstellung zum Leben wirkt, haben die US-Amerikaner Robert Emmons und Michael McCullough schon vor mehr als 20 Jahren in einer grundlegenden Studie gezeigt: Mitglieder einer Versuchsgruppe sollten einige Wochen abends fünf Dinge notieren, für die sie dankbar waren. Ein zweiter Kreis schrieb über fünf Ärgernisse des Tages. Eine Kontrollgruppe notierte fünf wichtige Dinge, die an diesem Tag geschehen waren.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer der Dankbarkeitsgruppe zeigten sich optimistischer und zufriedener mit ihrem Leben. "Seitdem erschienen zahlreiche Studien ähnlichen Zuschnitts, die substanzielle Zusammenhänge zwischen Dankbarkeit und einem Weniger an Sorgen, Grübeln, Depressivität und Stressempfinden nachweisen konnten", schreibt der Heidelberger Psychotherapeut Henning Freund im "Magazin für Psychotherapie und Seelsorge".

Doch Freund schüttet auch ein paar Tropfen Wasser "in den Wein der Dankbarkeitsenthusiasten", wie er selbst sagt. So werde als häufigste negative emotionale Begleiterscheinung von Dankbarkeit das unangenehme Gefühl der Verpflichtung genannt, wie es auch der Begriff der "Dankesschuld" ausdrücke.  Als negatives Beispiel nennt er auch den heuchlerischen Dank und verweist auf das biblische Gleichnis vom Pharisäer, der sich im Gebet vor Gott eitel erhebt: "Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner."

Seit Jahren beschäftigt die Forscher, ob sich die positive Form der Dankbarkeit trainieren lässt. Im Einzelfall schon, meint der Lüneburger Gesundheitspsychologe Dirk Lehr und zitiert wiederum die Versuche von Emmons und McCullough mit dem Dankbarkeitstagebuch. Er selbst und Henning Freund haben überdies ein Online-Trainingsprogramm entwickelt. In der ersten Einheit "Gutes wahrnehmen" wird eine "Dank-App" eingeführt, sozusagen die digitale Variante des Dankbarkeitstagebuchs für das Smartphone.

Auch EKD-Beauftragter Brahms rät dazu, in Dankbarkeit zu leben. Das heißt für ihn zuallererst, nicht zu resignieren und nicht denen die Bühne zu überlassen, die in ihrer Sprache gewalttätig und roh sind oder die mit Gewalt drohen. Das gelte im Übrigen genauso für die Politik: "Es fängt bei der Sprache an und setzt sich fort in langfristig denkender Politik, die nicht nur die nächste Wahl und nicht nur die eigene Sicherheit im Blick hat."
  
Source: Kirche-Oldenburg