Hannover (epd). Der Rollstuhl von Thorsten Föllmer steht nur wenige Meter vom Foto-Shooting entfernt. Er selbst kniet auf einem Tierfell, nur mit einem Tuch bedeckt. Auf seinen nackten Rücken sind Federn geklebt, die ihn kitzeln. Insgesamt zwölf Bewohner einer Behinderten-Einrichtung in Hannover haben sich vor die Kamera der Fotokünstlerin Julia Krahn gewagt. In eindrücklichen Bildern haben sie das «Hohelied Salomos» aus der Bibel mit seinem zärtlichen und teilweise auch erotischen Inhalt inszeniert. Vom Mittwoch bis zum 7. März sind die Aufnahmen nun in der Wanderausstellung «SchönerHeit» in der evangelischen Marktkirche in Hannover zu sehen.

Vor fünf Jahren fand das ungewöhnliche Fotoshooting in der Kapelle des hannoverschen Henriettenstiftes statt. Entstanden sind 26 Aufnahmen, die bereits in Göttingen, Bremerhaven, Hildesheim und Verden zu sehen waren. Elf davon sind jetzt in der Marktkirche ausgestellt.

In einer weiteren Szene stellt Föllmer den Mann dar, der zu seiner Geliebten aufschaut. «Schön bist du, meine Freundin. Zwei Tauben sind Deine Augen», heißt es in dem biblischen Text. Auf dem mit Moos dekorierten Altarstein über ihm liegt in weiße Tücher gewickelt Sabrina Schmidt und lächelt versonnen. Um ihren Kopf trägt sie eine Krone aus Federn.

Die in Italien lebende und international ausgezeichnete Fotografin hat für dieses Projekt erstmals mit behinderten Menschen zusammengearbeitet. «Ich möchte an der Schönheit und Fröhlichkeit arbeiten, die ich in ihnen sehe», sagt Krahn. Ziel der Arbeit sei auch, das gängige Schönheitsideal zu hinterfragen. «Die Leute sollen sehen, dass es Menschen sind, und erst auf den zweiten Blick die Krankheit erkennen.»

Mit jedem ihrer körperlich behinderten Fotomodelle hat Krahn vorher ausführlich über die Textstellen gesprochen, und gemeinsam haben sie die jeweilige Szene entwickelt. Zunächst fotografierte Krahn mit einer Digital- oder Polaroid-Kamera, damit sie das Ergebnis ihren Fotomodellen direkt zeigen konnte. Erst danach entstanden auf Filmrollen die endgültigen Aufnahmen für die Ausstellung, die sie später entwickeln ließ.

Alle Projektteilnehmer leben in Einrichtungen des diakonischen Annastiftes, dem größten Rehabilitationszentrum für körperbehinderte Menschen in Niedersachsen. Für die Bewohner sei es wichtig gewesen, einmal nicht wegen ihrer Behinderung wahrgenommen zu werden, sagte Geschäftsführer Ulrich Spielmann. Bis heute müssten sie um ihre gesellschaftliche Anerkennung kämpfen. «Die Fotografien zeigen uns die einzelnen Menschen, ohne sie zur Schau zu stellen.» Gefördert wurde das Projekt von der Anna-von-Borries-Stiftung und der Hanns-Lilje-Stiftung.

Zu der Ausstellung ist auch ein 112 Seiten umfassender Katalog entstanden. Darin hat Fotomodell Sabrina Schmidt rückblickend nur einen Satz geschrieben: «Das sieht so real aus, ich bin überwältigt.» Und Föllmer ergänzt: «Wenn ich das Bild jetzt sehe, dann stelle ich fest, dass es ganz wichtig für mich war und dass sich das gelohnt, wirklich gelohnt hat.»
Source: Kirche-Oldenburg