Passionspunkt 8645 Tote
DO, 24. März 2016 / 18:00 Uhr
Christus-und Garnisonkirche
Am Kirchplatz 2
Fachmann: Dr. Stephan Huck, Marinemuseum
Pastor Frank Morgenstern
LektorInnen: Ute Bohrer, Peter Leusch
Musik: Fink & Meinen (Orgel & Schlagzeug)
BEGRÜSSUNG
Herzlich willkommen zum fünften Passionspunkt in diesem Jahr.
Sie alle starben für ihr Vaterland.
Wie immer verknüpfen wir Geschichte und Erinnerung und Theologie.
Fortsetzungspassionspunkt.
Unser heutiger Fachmann ist Stephan Huck im Marinemuseum.
Dank an Fink und Meinen, die uns musikalisch begleiten.
Dank an die Lektorinnen Peter und Ute und das ganze Backgroundteam, das uns bis hierhin begleitet hat.
Das Blatt führt sie durch die Andacht.
Wir feiern in Gottes Namen
Er stärkt uns in den Krisen des Lebens.
In Jesu Namen, der sagte, Lass diesen Kelch an mir vorübergehen.
Und im Namen des Heiligen Geist, der uns Kraft gibt zum Leben.
Lesung am Mittwoch „Petrus‘ Verleugnung“ (Mt 26,69-75)
Petrus aber saß draußen im Hof; da trat eine Magd zu ihm und sprach:
Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa.
Er leugnete aber vor ihnen allen und sprach:
Ich weiß nicht, was du sagst.
Als er aber hinausging in die Torhalle, sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da waren: Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.
Und er leugnete abermals und schwor dazu: Ich kenne den Menschen nicht.
Und nach einer kleinen Weile traten hinzu, die da standen, und sprachen zu Petrus:
Wahrhaftig, du bist auch einer von denen, denn deine Sprache verrät dich.
Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht.
Und alsbald krähte der Hahn.
Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.
Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
Zur Situation vor Ort: Dr. Stephan Huck, Marinemuseum
Vor einhundert Jahren tobte vor dem Skagerrak, westlich des dänischen Festlandes, die größte konventionelle Seeschlacht der Weltgeschichte. 250 Schiffe waren daran beteiligt. Mit 95.000 Mann Besatzung. 8645 von ihnen kehrten nicht heim. So will es die offizielle Statistik wissen. Andernorts liest man von 9.500 Toten, mitunter auch von 10.000. Man sieht – so genau weiß es keiner. Der eine zählt diejenigen, die unmittelbar im Gefecht starben.
Der andere diejenigen, die ihren Wunden erlagen. Das konnte dauern. Und manchmal auch nur indirekt mit der Schlacht zusammen hängen. Wie der Tod des britischen Marineoffiziers Ralph Seymour, der sich am 4. Oktober 1922 im Alter von 36 Jahren von den Klippen von Beachy Head in den Tod stürzte. In der Skagerrakschlacht war er als Flagg Officer auf Admiral David Beatties Flaggschiff HMS LION verantwortlich für die Weitergabe von Signalen gewesen. Als sich nach dem Krieg in Großbritannien eine regelrechte Schlammschlacht in der britischen Marine und Öffentlichkeit darum entwickelte, ob der britische Befehlshaber der Schlachtflotte – Jellicoe – oder der Befehlshaber der Aufklärungskräfte – Beatty, dafür verantwortlich sei, dass die Skagerrakschlacht kein zweites Trafalgar, kein überwältigender Seesieg ohne wenn und aber geworden sei, entzog Beatty seinem früheren Flaggleutnant seine Gunst. Dies stürzte ihn in solche Depressionen, dass er sich das Leben nahm. Unübersichtlich?
Beatty, Jellicoe, Seymour? 8.645 Tote, 9.500 Tote, 10.000 Tote? Genau darum geht es heute, die Unübersichtlichkeit und Widersprüchlichkeit der Erinnerung an Skagerrak.
Das Erinnern fand dabei aber auf verschiedenen Ebenen statt. Am unmittelbarsten ist die Ebene des Erinnerns in den Familien, die ihren Ehemann, Vater oder Bruder in der Schlacht verloren haben. Auf dieser Ebene ist es schon bedeutsam, ob wir von 8.645 Toten oder von 10.000 reden. Wir reden davon, ob in 1.355 Familien mehr oder weniger getrauert wurde. Wir reden von Familien wie der des 36 jährigen Marineoberzahlmeisters Wilhelm Elias, dessen Namen sie hier auf der Tafel lesen. Mit 838 Kameraden war er mit der SMS POMMERN untergegangen, als die Schlacht schon fast geschlagen war. Auf dem Rückmarsch hatte das bis dahin unversehrt gebliebene Linienschiff einen Torpedotreffer erhalten, von einer mächtigen Explosion in zwei Teile gerissen worden und in kürzester Zeit gesunken. Niemand wurde gerettet. Wie von den meisten Toten kündet auch von Elias irdischer Existenz kein Grabstein.
Dies ist es, was der Hamburger Maler Hugo Schnars-Alquist mit seinem hinter uns zu sehenden Altarbild „per crucem ad lucem“ – durch das Kreuz zum Licht – zum Ausdruck bringen wollte. Es zeigt die sich nach der Schlacht beruhigende See, über der das christliche Kreuz erstrahlt. Es verheißt den Hinterbliebenen Trost durch das Versprechen der Erlösung ihrer gefallenen Angehörigen.
Dies Bild wurde am zehnten Jahrestag der Schlacht, im Jahr 1926, in diese Kirche eingebracht. Viele Wunden, die der Krieg gerissen hatte, werden noch frisch gewesen sein. Die Toten hätten alle noch Leben können, wäre der Krieg nicht gewesen. Ein Bild wie das Altarbild wird als Trost nötig gewesen sein.
Aber es war offenbar noch etwas anderes nötig, dass die nächste Erinnerungsebene berührt. Gerade der verlorene Krieg erforderte es, den gewaltsamen Tod der Gefallenen nachträglich zu legitimieren. Sie konnten und durften nicht umsonst gestorben sein. In diesem Kontext kommt der Skagerrakschlacht zentrale Bedeutung zu. Als zumindest numerischer Sieg über die Royal Navy – wir erinnern uns: die Briten hatten mehr Verluste zu beklagen, als die Deutschen – hatte sie gezeigt, wozu eine deutsche Marine in der Lage war, wenn man sie ließ. Nur ließ man sie zur Zeit nicht: der nach dem Ersten Weltkrieg diktierte Friedensvertrag von Versailles hatte dem Deutschen Reich nur noch eine Rumpfmarine von 15.000 Mann belassen, ausgestattet mit Linienschiffen, die schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges veraltet gewesen waren. Die moderneren dagegen hatten sich am Vorabend der Vertragsunterzeichnung am 21. Juni 1919 in britischem Gewahrsam in Scapa Flow selbst versenkt. Sie hatten auf ihre Weise den Untergang mit wehender Flagge rekapituliert, der ihnen nach Skagerrak ein weiteres Mal versagt gewesen war. Nun, 1926, als dieses Bild aufgehängt wurde, galt es also darauf hinzuarbeiten, dass Skagerrak vollendet werden konnte. »Durchgeschlagen« werden konnte, wie man sagte. Der gleiche Pastor, der hier das Altarbild und die Flaggen der alten Marine einbringen ließ, Friedrich Ronneberger, sprach im Folgejahr bei der Grundsteinlegung des Marienehrenmals in Laboe die ummissverständlichen Worte:
»Sie [gemeint sind die Toten, an die das Ehrenmal erinnerte] rufen uns zu: ‚Heraus, sofern ihr unserer noch gedenkt, die Schmach getilgt und die Ketten gesprengt! Wir Toten fordern als unser Recht, die alte Treue vom neuen Geschlecht‘. Mancher Stein liegt freilich noch im Wege, aber wie einst Hermann der Cherusker bewusst die deutschen Stämme zum Kampf gegen die römische Fremdherrschaft aufrief, so wird auch uns wieder ein Führer entstehen, der uns aus Nacht zum Licht führt, und der uns den Platz an der Sonne wiedergibt«.
Schon in der Terminologie dämmert hier derjenige herauf, der zehn Jahre später das Ehrenmal in Laboe einweihte: Adolf Hitler. Wenn zur Einweihung am 20. Jahrestag der Schlacht auch eine britische Delegation anwesend war und als Zeichen der Versöhnung die Glocke des in Scapa Flow versenkten Schlachtkreuzers SEYDLITZ zurückgab, so standen die Zeichen doch nur kurz auf Versöhnung. Nur drei Jahre später, 1939, brach Hitler grundlos den Krieg vom Zaun, der zur See ein Seekrieg gegen England sein würde. Zu früh, wie der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine seinem Kriegstagebuch anvertraute, um Aussicht auf Erfolg zu haben. Man könne nun nichts anderes, als zu zeigen, dass man in Anstand zu sterben verstünde, um die Grundlage für einen Neuanfang zu legen. Vor dem Hintergrund dieses bekanntermaßen neuerlich verlorenen Krieges verblasste die Bedeutung von Skagerrak. 1944 hisste zum letzten Mal ein deutsches Kriegsschiff die alte Reichskriegsflagge am Skagerraktag im Top, 1968 wurde das SEYDLITZ-Rohr vor der Christuskirche entfernt, 1974 ein letzter Zapfenstreich im Gedenken an Skagerrak aufgeführt. Heute ist aus dem „Wieder“ von 1926 ein „Nie wieder“ geworden. Dies ist die zentrale Botschaft der Veranstaltungen zum 100. Jahrestag im Mai diesen Jahres.
Kurzpredigt:
Erinnern: Eine Geschichte, (ich glaube eine rabbinische Geschichte) erzählt:
Unsere Vorfahren gingen immer über einen Fluss und dann durch einen Wald auf eine Lichtung. Dort beteten sie zu ihrem Gott, weil hier war ihr Volk gegründet worden war.
Die Nachfahren gingen immer über den Fluss in den Wald auf die Lichtung, aber sie wussten nicht mehr, was hier passiert war.
Deren Nachkommen gingen immer über den Fluss, aber sie fanden die Lichtung nicht mehr.
Und deren Nachkommen wieder hatten gar keinen Fluss mehr, weil sie woanders lebten, aber sie wussten, dass man sich erinnern muss, und sie beteten zu dem Gott, der etwas getan hat.
Liebe Passionspunktegemeinde!
Was ist Tradition? Was ist Erinnern?
“Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.”
Wie geben wir etwas weiter und was erinnern wir.
In dieser Kirche des Erinnerns und der Geschichte ist immer die Frage,
was geben wir von dem weiter, was hier erzählt wird, wie geben wir es weiter.
Stephan Huck hat von den Erinnerungsebenen erzählt, wie sie sich verschoben haben.
Und zum anderen, was geben wir in einer Kirche weiter, was von unserem Glauben erzählt?
Wofür brennen wir? Und was ist die Asche?
Heute beim Passionspunkt am Gründonnerstag sind die beiden Vorgaben eindeutig. Skagerrak auf der einen Seite und Abendmahl auf der anderen Seite.
Rückblick auf das Altarbild:
Als zehn Jahre nach der Schlacht bei Skagerrak das Bild aufgehängt wurde, war das in der
Kirche ein großes politisches Statement und nichts Anderes. Man kann das schönreden, wie
man will. Aber es war ein politisches Fanal an alle Mariner und alle Militärs im Wartestand:
Seht das Bild von der Schlacht. Das, was damals dort auf dem Meer passierte, das ist die Folie auf der wir arbeiten und weiterhandeln müssen. Wir haben gesiegt.
Wir sind die eigentlichen Gewinner der Seeschlacht im 1. WK.
Lasst sie von der Kette, dann wird es etwas. Wieder und wieder erinnern, so wie Stephan Huck es genannt hat, das hat Ronneberger gemacht und er hat unsere Kirche damit massiv geprägt. Und wenn man die Zitate von Ronneberger liest, dann weiß man wessen geistiges Kind er war. Und neben der Laboe Einweihung (wir haben das Zitat gerade gehört), kann man auch auf die Überlebenden der Selbstversenkung der Flotte in Scapa Flow blicken. Die mit den wehenden Flaggen. Also sozusagen im geistigen Kampf. Auch dort veräußert er sich deutlich:
Er wertet die Selbstversenkung der internierten Schiffe als heldenhafte Tat: “Würdig ihrer Vergangenheit hat die deutsche Flotte ihr Grab gefunden! (…) Hut ab vor den aufrechten Männern, die solches gewagt! Diesmal lag kein Befehl vor! Ohne fremdes Zutun von sich aus haben sie solches gewagt. Und das war deutsch! Alles andere was sonst bei uns geschieht ist welsch, ist undeutsch!“
Das Altarbild sollte nicht an 8645 Tote erinnern, Es sollte an die deutschen Sieger erinnern und an die Helden, die mannhaft in der Schlacht gestorben waren, wie eben Marinezahlmeister Wilhelm Elias. Sie alle starben für ihr Vaterland. Das Altarbild als Erinnerung und Festhalten:
Nicht umsonst gestorben, nicht umsonst gekämpft. Es hat einen Sinn.
Wieder und wieder erinnern.
Die Grundaussage zum Passionspunkt in diesem Jahr. Nein, er hat nicht gewonnen.
Die Geschichte hat ihm (Ronneberger) nicht Recht gegeben.
Das Bild hat seine politische Kraft verloren. Es hat eine andere Kraft bekommen. Es hat sich in seiner scheinbaren unpolitischen Haltung dann doch in die Herzen von vielen Gemeinde – und Stadtgliedern eingebrannt.
Die Erinnerung an den Grund ist verblasst. Das Feuer ist erloschen.
Und aus dem WIEDER haben wir ein NIE WIEDER gemacht.
Abendmahl Und auf theologischer Ebene?
Im Abendmahl geben wir jeden Gründonnerstag die Flamme weiter.
Wir erinnern tatsächlich an das letzte Essen von Jesus und seinen Leuten. Wir laden es theologisch auf.
Durchaus mit unterschiedliche Riten und Bräuchen im Wandeln der Zeit und der Konfessionen,
und natürlich wandelt sich die Erinnerung an das Abendmahl auch hier.
Während die Erinnerung an Skagerrak aber verblasst, hat das Abendmahl bis heute nichts von der Kraft verloren.
Eine Symbolhandlung, die bis heute nichts von ihrer Strahlkraft und ihrem Feuer verloren hat. Denn egal wie die einzelnen Konfessionen das Abendmahl interpretieren, es schlägt die Verbindung von jetzt über alle Zeiten und Grenzen zu Jesus. Sei es als Sündervergebung, als Versöhnung, als Gemeinschaftsmahl, als Verbindungstat. Es verknüpft horizontal und vertikal, zeitlich und räumlich.
Das Feuer wird weitergegeben, immer wieder angefacht.
Nicht: sie alle starben für ihr Vaterland,
sondern: wenn hier einer starb, dann er: Er starb für uns Er starb bei uns
Das ist Mehr als das, was ich mir einrede.
DANKE, dass Ihr mir zugehört habt. AMEN
An diesem Passionspunkt haben ca. 163 Personen Teilgenommen.