Bunt und fröhlich geht es zu am Sonntagmorgen in Westerstede in der Kinderkirche – und das schon seit 100 Jahren. Für Pastorin Sabine Karwath und ihr Team war das ein Grund zu feiern und eine Festschrift herauszubringen.
Sabine Karwath leitet den Kindergottesdienst seit 30 Jahren. 15 bis 20 Kinder kommen derzeit regelmäßig sonntags in die Kinderkirche. Dazu gehören die Kindergottesdienste (Kigo) selbst, Krabbelgottesdienste, aber auch kreative Nachmittage für Jungen und Mädchen und Ausflüge. „Ich verstehe Kigo sowohl als Teil des Bildungsauftrages, den Kirche wahrnimmt, als auch des seelsorgerlichen Auftrages.“
Für Karwath hat die Kirche den Gottesdienst für die Kleinen seit den letzten Impulsen in den 80er- und 90er-Jahren vergessen: „Kigo ist Beziehungsarbeit, und die kostet Zeit, Verlässlichkeit und Geld in Ausstattung und Ausbildung. Ich bin Anhängerin der Gemeindepädagogik, die kein Aufgabengebiet in der Gemeinde gegen das andere ausspielt, sondern vernetzt.“
Kigo – mehr als nur frohe Botschaft
Lebendig und mit vielen Fotos beschreibt die 80-seitige Festschrift die Kigo-Arbeit – Engagierte berichten über ihre Motivation sich einzubringen oder erinnern sich an ihre Kinderzeit. Geholfen haben der Pastorin der ehemalige Kigo-Mitarbeiter Wilhelm Sparn und Bettina Hüniken aus der Gemeinde. „Durch Zufall stieß ich im Frühjahr 2019 bei den Recherchen zu einer anderen Veranstaltung in der Chronik von Pastor Chemnitz aus dem Jahr 1920 auf die Notiz, Missionar Sommer habe am 7. September 1919 den Kindergottesdienst in Westerstede gegründet“, berichtet Karwath. Für sie stand sofort fest, dass es eine Festschrift geben sollte. Eine Homepage über die Arbeit mit Kindern in der Gemeinde besteht bereits seit über einem Jahr.
„Menschen aus unserer Gemeinde unterstützten uns von Beginn an, erzählten ihre Erlebnisse, öffneten ihre Fotoalben und luden uns zum Gespräch ein.“ Und schnell wurde deutlich – der Kindergottesdienst hat seinen festen Platz in der Gemeinde, seit über 100 Jahren, selbst in der dunklen Zeit der deutschen Geschichte. Die Historie des Kindergottesdienstes sei Anfang des 19. Jahrhunderts eng mit der Geschichte der „Sonntagsschule“ aus dem angelsächsischen Raum verknüpft. Der Gedanke, Kindern nicht nur die frohe Botschaft von Jesus Christus zu erzählen, sondern ihnen gleichzeitig Lesen, Rechnen und Schreiben beizubringen, stammt ursprünglich aus England, aus den Anfangsjahren der industriellen Revolution, so Karwath. „In den Norden Deutschlands brachte die Idee der Sonntagsschule der Vareler Johann Georg Oncken.“ Johann Hinrich Wichern kam als Lehrer der ersten Sonntagsschule in Hamburg mit dieser Pädagogik in Berührung und übernahm sie, als er 1833 das Rauhe Haus in Hamburg-Horn gründete.
Anfang des 20. Jahrhunderts trafen sich in Westerstede die Kinder am Sonntagmorgen regelmäßig von 11 bis 12 Uhr, am Nachmittag kamen die großen Mädchen in St. Petri zusammen: „Besonders für die Kinder aus den umliegenden Dörfern bedeutete diese Stunde das Highlight des Sonntags, denn viele von ihnen waren in der Landwirtschaft fest eingespannt“, so Sabine Karwath. Der Sonntag sei frei von Arbeit gewesen – und der Kindergottesdienst habe Abwechslung geboten.
Die Rahmenbedingungen haben sich gewandelt. Eine Herausforderung der Gegenwart sieht Karwath in der Terminüberfrachtung der Kinder. „Sonntag ist der Tag der Familie: lange ausschlafen, Papa ist endlich einmal da.“ Ein weiteres Problem: „Eltern müssen ihre Kinder bringen, wir sind eine 170 Quadratkilometer große Flächengemeinde.“
Ein Beispiel, das Geschichte mit Gegenwart verbindet, sind die „nickenden Neger“: Spardosen, die den Kopf bewegten, wenn ein Geldstück hineingeworfen wurde. Damit hatte die oldenburgische Kirche damals Gemeinden in Ghana und Togo unterstützt. „Viele ältere Westersteder erinnern sich noch an diese Dose“, weiß Karwath. Sie verschwanden mit dem aufkommenden Eine-Welt-Bewusstsein. Aber dem sozialen Engagement ist die Kindergottesdienstgruppe bis heute treu geblieben und unterstützt ein indisches Kinderprojekt.
Der Kindergottesdienst wird sonntags von 11 bis 12 Uhr in der Westersteder Kirche St. Petri gefeiert. Die Festschrift kann bei Pastorin Karwath unter Telefon 04488/20 26 bestellt werden. Weitere Infos gibt es unter www.kigo-wst.de.
Ein Beitrag von Hans-Christian Roestel / Evangelische Zeitung
Source: Kirche-Oldenburg