„Man fragt sich, ob Nachhaltigkeit das wichtigste Thema ist?“ Viele Menschen in Deutschland fühlten sich überfordert – und jetzt käme auch noch dieses Weltthema! Prof. Dr. Günther Bachmann behauptet: „Das Gegenteil ist richtig: Wir unterfordern uns, was Nachhaltigkeit, was die Ziele der Agenda 2030 angeht.“ Der Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung forderte am Dienstag, 4. September, zum intensiven Austausch und Nachdenken auf. An der dritten Auftaktveranstaltung von Evangelischem Bildungswerkes Ammerland und Engagement Global zu den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung im Evangelischen Gemeindehaus in Petersfehn nahmen gut 30 Interessierte teil.
 
Kreispfarrer Lars Dede, der den Abend moderierte, zeigte sich in seiner Begrüßung überzeugt, „dass diese vier Ziele, um die es heute geht, mit zu den Schlüsselzielen der gesamten Agenda 2030 gehören: Ziel 8, Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum; Ziel 9, Industrie, Innovation und Infrastruktur; Ziel 16, Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen und Ziel 17, Partnerschaften zur Erreichung der Ziele.“
 
Anita Reddy, Bereichsleiterin Bildungsprogramme, Förderung Inland bei Engagement Global in Bonn, besuchte gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Christian Braun, Projektleiter bei Engagement Global, Außenstelle Hamburg, die Veranstaltung. „Besonders wichtig“ ist für Anita Reddy, viele Menschen „nicht nur in urbanen Räumen“ zu erreichen. Daher begrüße sie es, dass diese Veranstaltung in Petersfehn stattfinde.
 
Prof. Dr. Günther Bachmann referierte zu vier der 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (engl. „Sustainable Development Goals“ SDGs), die er mit zahlreichen Beispielen aus seiner alltäglichen Arbeit veranschaulichte. Die Logik aller 17 Ziele sei, dass sie nur zusammen funktionieren, nicht einzeln. „Ich glaube, dass wir viel mehr tun können“, betonte Prof. Bachmann. „Die 17 Ziele sind ein großer Meilenstein auf der internationalen Bühne“, doch plädierte er als Kern dieser Ziele für etwas, das so nicht in den 17 Zielen stehe, das aber für sie von grundlegender Bedeutung sei: Mut zur Hoffnung auf eine bessere Welt und das Vertrauen in die Kraft der Gegenseitigkeit. Er nannte dies quasi das 18. Ziel, die eigene bessere Zukunft im gelingenden Leben der Anderen zu verwirklichen.
 
Die Anzahl 17 mit den 169 Unterzielen sei letztlich ein zufälliges Ergebnis hoch ambitionierter Verhandlungen, bei denen erstmals in der Geschichte der Vereinten Nationen die zivilgesellschaftlichen Gruppierungen ein Mitspracherecht hatten. Er berichtete, dass in der Welt jetzt lebhafte Diskussionen und Überlegungen stattfänden, wie die SDGs umgesetzt würden. Zum Beispiel habe Togo die Ziele zur nationalen Strategie ernannt und Saudi-Arabien mache den Bau von Solaranlagen billiger als je zuvor und wolle dadurch die Unabhängigkeit von der fossilen Energie erreichen.
 
Auch Deutschland war unter den ersten der mittlerweile rund 120 Staaten, die bei der UNO über den Stand der Umsetzung berichtet hatten. Alle wollten dabei sein, mit einer so großen Beteiligung der Zivilbevölkerung wie nie zuvor. „Fortschritt hört heute auf die Bezeichnung SDGs.“
 
Die vom Bundeskabinett beschlossene „Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ setzt die 17 Ziele für Deutschland um. Auf nationaler Ebene wird ihr Erfolg anhand von 63 Indikatoren gemessen. Knapp bei der Hälfte sei Deutschland allerdings nicht auf der Zielgeraden. „Es fehlt das Zielmanagement bei den wichtigen und komplexen Zielen. Die Zielsetzungen könnten durchaus engagierter sein“, kritisierte Generalsekretär Bachmann.
 
Eine kluge Entscheidung nannte es Prof. Bachmann, dass sich in Deutschland die Bundesregierung mit ihrem Ausschuss von Staatssekretären sehr frühzeitig mit den 17 Zielen beschäftigt hatte. So sei erarbeitet worden, was für Deutschland zu tun ist, zum Beispiel bei den Themen Konsum und Massentierhaltung, bei der Gesundheit, gegen den Flächenfraß oder in den sozialen Bereichen.
 
Dass in Deutschland neues Denken und neue Bündnisse nötig sind, verdeutlichte der Experte am Bangladesch-Problem im Textilbereich, wo nach hunderten von Toten die deutsche Politik und die deutschen Unternehmen in einem Textilbündnis daran arbeiteten, dass sich solche katastrophalen Arbeitsbedingungen dort nicht wiederholen. „Solch ein Bündnis brauchen wir im Grunde auch hier gegen die schlechten Arbeitsverhältnisse. Denn auch wir haben Menschen, die in unwürdigen Arbeitsverhältnissen stehen.“ Auch mahnte er an, dass die deutsche Politik sich viel stärker für die Vereinten Nationen und den multilateralen Teil der Umsetzung der SDGs engagieren sollte.
 
Das Thema Wirtschaftswachstum erklärte der Referent am Beispiel des Atommüll-Lagers Asse: Er beschrieb die Szenarien mit eintretendem Wasser in dem alten, undichten Salzbergwerk und nannte die viel zu lange Aufbewahrungszeit an diesem unsicheren Standort. „Und all das nennen wir Wirtschaftswachstum.“
 
Nach dem Vortrag äußerten die Besuchenden ihre Meinung und stellten Fragen. Insbesondere beschäftigte die Menschen im Ammerland Themen wie Massentierhaltung, Landwirtschaft und Wegwerfmentalität. Gesetze sollten mehr regeln, wurde gefordert. Bachmann verdeutlichte am Beispiel von Biogasanlagen, dass Fehler in der „gut gemeinten gesetzlichen Regulation“ nicht zu Nachhaltigkeit geführt habe. Durch die Aufnahme von Gülle in solche Anlagen sei plötzlich mehr statt weniger Massentierhaltung möglich. Die Verweise mancher Diskutanten darauf, dass sich „die Gesellschaft“ erst ändern müsse, bevor es vorangehe, konterte er mit der Frage: „Wo ist ‚Gesellschaft‘, dort draußen oder auch hier in diesem Raum?“ Umdenken beginne eben zu Hause.

Rat für Nachhaltige Entwicklung
Prof. Dr. Günther Bachmann leitet die Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung seit dessen erster Einsetzung 2001. Als Generalsekretär treibt er das Nachhaltigkeitsdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft voran und koordiniert die Arbeit des Nachhaltigkeitsrates. Seine Arbeit sei relevant für die Lebenswirklichkeit und treibe ihn immer noch an. Vor 2001 war Bachmann im Umwelt-Bundesamt für technische Fragen des Bodenschutzes und der Umweltsanierung tätig. Damals erschien es ihm häufig als verkopft und unzugänglich, wie das Thema Nachhaltigkeit diskutiert und bearbeitet wurde. Er sei „genervt“ gewesen, wenn er als Bodenökologie-Experte immer nur zu Details gefragt wurde, aber eine andere Sicht auf das gesamte Herangehen nicht einbringen konnte. Seit der Übernahme seiner jetzigen Aufgabe änderte der Experte einige Grundelemente der Nachhaltigkeitspolitik: Sie solle den Menschen zugewandt und nicht mehr so verkopft sein. „Es gibt Raum für Kreativität. Das positive Denken gewinnt an Wirksamkeit. Immer entsteht Neues, wir setzen auf eigenverantwortliches Engagement.“
 
Mit der Initiative RENN wurden vier regionale Netzstellen für Nachhaltigkeitsstrategie gegründet, eine regional organisierte Informations- und Aktions-Plattform für nachhaltige Entwicklung. Sie verleiht auch den Nachhaltigkeitspreis (www.projektnachhaltigkeit.renn-netzwerk.de). Der zentrale Bezugspunkt seien dabei die SDGs. Prof. Bachmann ist Vorsitzender der Jury des Deutschen Nachhaltigkeitspreises sowie des Next Economy Awards. Es gäbe ein großes Interesse bei Unternehmen. „Nachhaltigkeit in Deutschland müssen Konzepte sein, die Begeisterung auslösen. Deshalb kommt hier auch wieder das 18. Ziel ‚Hoffnung‘ zum Ausdruck.“

Kooperation Evangelisches Bildungswerk Ammerland / Engagement Global
Das Evangelische Bildungswerk Ammerland ist zur Umsetzung des Projektes „SDGs im Ammerland“ eine Kooperation mit Engagement Global eingegangen, welche die Außenstelle Hamburg ausführt. Engagement Global arbeitet im Auftrag der Bundesregierung und wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert. Mit dem Ministerium teilt Engagement Global das Ziel, mehr Bürgerinnen und Bürger für entwicklungspolitisches Engagement zu gewinnen

Anita Reddy, Bereichsleiterin Bildungsprogramme, Förderung Inland bei Engagement Global in Bonn, stellte in ihrer kurzen Ansprache zur Beginn des Abends viele Bildungsangebote bei Engagement Global vor. Es gebe eine Vielzahl von Projekten, Initiativen, Netzwerken und Materialien, die sich auf Globale Entwicklung und auf Globales Lernen beziehen. Interessierte können gerne unmittelbar mit Engagement Global Kontakt aufnehmen (www.engagement-global.de/lernbereich-globale-entwicklung.html).

Ideenschmiede zur Umsetzung am 13. September
Barthel Pester begleitet gemeinsam mit Helena Inkermann die vier Vortragsveranstaltungen sowie vier sich anschließende Ideenschmieden. Die nächste Ideenschmiede findet am Donnerstag, 13. September um 19 Uhr im Gemeindehaus Petersfehn, Mittellinie 83, zu den vier von Prof. Baumann erläuterten SDGs statt. Nach den Treffen in den vier Ideenschmieden sollen zwei Arbeitsgruppen im Kirchenkreis Ammerland starten. Es wird eingeladen, in diesen Arbeitsgruppen das eine oder das andere Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen gemeinsam zu diskutieren und praktisch im Kirchenkreis Ammerland umzusetzen.

Bärbel Romey
Source: Kirche-Oldenburg