Was ist eigentlich Leben und Sterben in Würde? Diese Frage war zentral in der Diskussion zum Thema „Dein Wille geschehe – Optionen in der aktuellen Debatte um Sterbehilfe“, die am Donnerstag, 3. September von der Ev. Akademie veranstaltet wurde. Auf dem Podium diskutierten die Expertin für Medizinethik Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert von der Universität Münster, der Oldenburger Arzt Prof. Dr. Michael Schwarz-Eywill, der Theologische Referent am Zentrum für Gesundheitsethik Hannover, Dr. Michael Coors, und der Vizepräsident des Humanistischen Verbands Deutschlands, Niedersachsen, Eckhard Kühl.
„Besteht die Würde des Menschen darin, sein Ende selbst wählen zu können? Mindert es die Würde, auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein? Oder zeigt sich gerade in der Angewiesenheit, was die Würde des Menschen kennzeichnet – nämlich, sein Leben in Beziehungen zu führen?“ Mit Fragen wie diesen eröffnete Olaf Grobleben, Beauftragter für Ethik und Weltanschauungsfragen der oldenburgischen Kirche, die Diskussion. Es wurde schnell deutlich, dass die Debatte um die Sterbehilfe und Sterbegegleitung – bei aller Professionalität der Teilnehmenden – eine sehr persönliche ist. „Weil die Würde eines Menschen aus evangelischer Sicht auf der Mitmenschlichkeit beruht, habe ich die Pflicht, zu helfen. Doch diese Fürsorgepflicht heißt nicht, dass jeder Mensch leben muss“, betonte Michael Coors. „Wem gehört denn mein Sterben, mein Ende? Wann macht mein Leben noch einen Sinn macht? Das muss ich selbst entscheiden können“, so Eckhard Kühl. „Über ein selbstbestimmtes Ende möchte ich mit dem Arzt meines Vertrauens sprechen – und das ist eben nicht unbedingt der Facharzt im Krankenhaus, den ich kaum kenne.“ Autonomie heiße, Verantwortung zu übernehmen. Für ihn ist keiner der aktuell debattierten Gesetzentwürfe akzeptabel.
„Oft eine große Hilflosigkeit“
Er erlebe im Ernstfall oft eine große Hilflosigkeit, so Michael Schwarz-Eywill. „Trotz Patientenverfügung und obwohl die Angehörigen eigentlich wissen, wofür der Patient sich ausgesprochen hat.“ Denn nicht nur der Patient selbst, auch Angehörige und Freunde müssten letztendlich mit der Entscheidung zum assistierten Suizid klarkommen. „Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren“, mahnte er. Es gehe nicht darum, den Menschen etwas auszureden, sondern ihnen Angebote zu machen, meinte er und bezog sich damit auf Palliativmedizin und Hospizarbeit. „Meine Erfahrung ist: In den meisten Fällen führt die Hilfestellung, die wir den Familien geben, zu einem Konsens.“
Sie fühle sich durch die Ärztefunktionärssicht überhaupt nicht vertreten und empfinde sie als Skandal, machte Bettina Schöne-Seifert deutlich und bezog sich damit auf die Haltung der Bundesärztekammer, den ärztlich begleiteten Suizid komplett abzulehnen. „Sterbehilfe durch Therapieverzicht passiert in deutschen Krankenhäusern längst zu Tausenden. Indirekte Sterbehilfe etwa durch Nebenwirkungen von Medikamenten ist ebenfalls Realität“, sagte sie. Den Ärzten aber müsse mehr Rechtssicherheit gegeben werden. „Faktisch haben viele Ärzte ein Problem damit – und es gibt nicht wenige Patienten, die niemanden finden, der sie beim Suizid begleitet, auch wenn es nicht verboten ist.“ Das bestätigte Schwarz-Eywill. „Viele Kollegen sind unsicher, was sie dürfen.“ Gleichzeitig aber seien Ärzte auch dazu da, am Lebensende beratend tätig zu sein: „Gerade die jungen Kollegen müssen etwa über die Möglichkeiten der Palliativmedizin mehr wissen. Selbst wenn es genügend Palliativmediziner gäbe, löste das allein das Problem nicht, hielt Schöne-Seifert dem entgegen. „Es ist nicht in Ordnung zu sagen, Sterben ohne Schmerz wäre Würde genug.“ Gleichzeitig prangerte sie mit deutlichen Worten die Doppelmoral an, „dass es in Ordnung ist, Schläuche zu ziehen. Aber Patienten, die nicht an Schläuchen hängen, aber aufgrund ihres unerträglichen Leidens nicht mehr leben wollen, verweigert man die Hilfe zum Suizid.“
Sterben aus wirtschaftlichen Gründen?
Auch das Publikum mischte sich engagiert ein. Kontrovers diskutiert wurde die Frage, ob der wirtschaftlichen Aspekt in der Debatte eine Rolle spiele: Sterbehilfe, weil die Langzeitpflege eines alten Menschen das Erbe schmälert? „Diese Gefahr sehe ich nicht“, betonte Schwarz-Eywill. „Wir machen es uns da nicht einfach. Es ist der richtige Ansatz, dass wir die Frage der Sterbehilfe so intensiv diskutieren.“ Michael Coors dagegen sah die Gefahr durchaus: „Gerade wenn auch das Eigenkapital für die Pflege draufgeht, spielt diese Frage eine große Rolle. Wenn die Menschen dann selbst sagen, sie möchten nicht länger gepflegt werden, muss man das erstmal ernst nehmen.“ Wer sich aus der Sterbehilfe mit dem Berufsethos herausrede, müsse auch klar Stellung beziehen zu Themen wie Pränataldiagnostik oder ästhetischen Eingriffen, gab ein Teilnehmer zu bedenken. Die Ärzte im Intensivmedizinischen Bereich seien sich im Hinblick auf indirekte Sterbehilfe nicht einig, bemängelte ein Zuhörer. „Es ist ein ungutes Gefühl, auf Glück oder Pech angewiesen zu sein, je nachdem, an welchen Arzt man gerät.“ In diesem Fall appellierte Schwarz-Eywill an die Pflegekräfte in den Krankenhäusern: „Sie haben oft eine bessere Einsicht in den Patientenwillen als die Ärzte, weil sie näher dran sind.“ Aber auch die Ärzte seien zum Glück „keine Halbgötter in Weiß“, sondern träfen ihre Entscheidungen im Team.
Anke Brockmeyer
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Source: Kirche-Oldenburg