Hannover/Dehli (epd). Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva (63) fordert einen freien Zugang zu Saatgut, um Hunger und Mangelernährung wirksamer bekämpfen zu können. Lokale Getreide-, Reis- und Gemüsesaaten seien oft besser angepasst an das regionale Klima und enthielten viele wichtige Nährstoffe und Mineralien, sagte die Trägerin des alternativen Nobelpreises dem Evangelischen Pressedienst (epd). Shiva hat 1991 im nordindischen Dehradun ein Projekt zum Öko-Landbau gegründet, das traditionelles Saatgut verbreitet und von der evangelischen Hilfsorganisation «Brot für die Welt» unterstützt wird.

Das Hilfswerk eröffnete am Sonntag in Hannover seine 57. bundesweite Spendenaktion, die unter dem Motto «Satt ist nicht genug» auf den «stillen Hunger» aufmerksam macht. Das von Vandana Shiva gegründete Saatgut-Projekt «Navdanya» spielte dabei eine tragende Rolle.

Trotz voller Speisekammern litten viele Menschen an Mangelernährung, weil sie im Zuge einer auf den Weltmarkt orientierten industriellen Landwirtschaft nur noch ein oder zwei Pflanzen anbauten, warnte Shiva. «Unser jetziges Ernährungssystem ist ausschließlich auf Profit ausgerichtet. Bauern, die auf traditionelle Saaten setzen, können im Gegensatz dazu ihre Familien besser ernähren und verdienen mehr.»

Die indische Regierung subventioniere gentechnisch verändertes Saatgut großer Agrarkonzerne, das patentiert auf den Markt komme und von den Bauern nicht nachgezüchtet werden könne. «Die Farmer müssen meist mit Krediten das Hybrid-Saatgut, passende Pflanzenschutzmittel und künstlichen Dünger kaufen und ihre Ernte auf einem Markt anbieten, der von großen Konzernen kontrolliert wird.» Dabei verlören sie vielfach Geld, bei einer Missernte sogar die Basis ihrer Existenz. «Die meisten der etwa 300.000 Suizide unter indischen Bauern in den zurückliegenden Jahren haben etwas mit Überschuldung zu tun.»

Dem setze «Navdanya» (neun Samen) lokale Produktionskreisläufe entgegen und unterstütze Kooperativen, die ökologische Landwirtschaft betrieben. «Wir verteilen das Saatgut kostenlos an Kleinbauern, die dann entweder das eineinhalbfache an unsere Saatgutbank zurück- oder an andere Bauern weitergeben.» Auch düngender Kompost und Pflanzenschutz seien kostenlos, weil sie auf traditionelle Weise aus dem hergestellt würden, was auf dem Hof verfügbar sei.

Mittlerweile lagern in der Saatgutbank von Navdanya mehr als 2.000 verschiedene Saaten. Darunter sind alleine 711 unterschiedliche Reissorten, die teils außerordentlich anspruchslos sind und auch dem Klimawandel trotzen. Dazu kommen lange vergessene Feldfrüchte wie die Fingerhirse, die viel Kalzium und Eisen enthält. Mittlerweile seien mit Navdanya-Hilfe in vielen Dörfern Indiens weitere Saatgutbanken eröffnet worden, bilanzierte Shiva und betonte: «Auf diese Weise geht der Kreislauf des Teilens immer weiter.»
Source: Kirche-Oldenburg