Stell Dir vor, Du liegst auf einer Bank, das Gesicht nach unten, die Augen geschlossen. Du hast Bodenhaftung und fühlst Dich sicher. Plötzlich hebt jemand die Bank an, um Dich an einen anderen Ort zu bringen. Ist es ein Gefühl von Abheben und Schweben? Oder von Kontrollverlust?

Was in dem Erlebnisparcours zwischen den weißen Zelten geschieht, mag auf den ersten Blick nach Gaudi unter Jugendlichen aussehen. Während die eine Gruppe die Bank mit dem liegenden Mädchen trägt, hängt an einem der Bäume ein dickes Tau, an dem viele auf der einen Seite des Asts einen Einzelnen auf der anderen Seite hochziehen. Ein paar Meter weiter läuft ein Junge mit verbundenen Augen über Hindernisse. Mit dem Freund, der ihn führt, ist er nur durch eine winzige Berührung verbunden: Ihre Zeigefinger liegen Kuppe auf Kuppe. Hier geht es nicht nur um Spaß, sondern um eine existentielle Frage: Habe ich Angst davor zu fallen oder verlasse ich mich darauf, geleitet zu werden?

In diesen Tagen erkunden wieder mehr als tausend Konfirmanden das Wittenberger Groß-Camp „Trust and Try“, und genau darum geht es: vertrauen und ausprobieren, wie weit man zu gehen bereit ist und wo die individuellen Grenzen verlaufen. Es ist das letzte Mal in diesem Sommer, dass sich Gemeinden aus der oldenburgischen Kirche in die Zeltstadt am Rand der Lutherstadt aufgemacht haben, wo sie zusammen mit Gleichaltrigen auch die Originalschauplätze der Reformationsbewegung erkunden. 61 Konfirmanden aus dem Oldenburger Land sind dabei, begleitet von der Diakonin Nadine Hoffmann aus Friesland-Wilhelmshaven und ihren Pastoren Stefan Grünefeld aus Hooksiel-Pakens und Hanja Harke aus Waddewarden, Bernd Göde aus Apen-Augustfehn und Rüdiger Möllenberg aus Jever. In Wittenberg teilen sich alle miteinander das Zeltdorf Venedig.

Konfirmanden-Gruppen aus ganz Deutschland besuchen Wittenberg
Konfirmanden-Gruppen aus ganz Deutschland fahren in diesem Reformationssommer nach Lutherstadt Wittenberg, um dort gemeinsam zu leben, zu lernen und zu feiern. Insgesamt machen sich von Ende Mai bis in den September hinein über 15.000 Konfirmandinnen und Konfirmanden mit ihren ehren- und hauptamtlichen Teamerinnen und Teamern auf den Weg.

Insgesamt haben in diesem Sommer mehr als 800 Konfirmandinnen und Konfirmanden aus dem ganzen Oldenburger Land die KonfiCamps in der Lutherstadt Wittenberg besucht. Anfang Juni waren allein 427 Teilnehmende aus Cloppenburg, Delmenhorst, Dinklage, Löningen, Metjendorf und Oldenburg gestartet. Mitte Juni waren es nochmals weitere 296 Teilnehmende aus Butjadingen, Delmenhorst, Holle-Wüsting, Lemwerder, Nordenham-Blexen, Wildeshausen und Wilhelmshaven. Nun der dritte Durchgang aus Apen-Augustfehn, Hooksiel, Jever und Pakens.

Vertrauensspiele im Erlebnisparcours
„Die Vertrauensspiele im Erlebnisparcours haben sich die Jugendlichen selbst ausgedacht“, erzählt Grünefeld. Nach dem Frühstück hatten sie sich zunächst ein Video im Großzelt angesehen. Der Junge im Film hatte schlechte Erfahrungen in seiner Peergroup gemacht und zog sich aus seinem sozialen Umfeld zurück. Die Trennung seiner Eltern hatte zusätzlich das Vertrauen zu ihnen angekratzt. „Durch den Film tauchen wir in die Lebenswelt dieses Jungen ein“, sagt Grünefeld. „In der kleinen Gruppe passiert dann im Anschluss der Transfer der Jugendlichen: Was hat diese Geschichte mit mir zu tun und wie schwer fällt es mir eigentlich zu vertrauen?“, ergänzt Diakonin Hoffmann.

Bei solchen Übungen bestehe immer die Gefahr, dass bei den Jugendlichen etwas aufbricht, erklärt Hoffmann. Denn man wisse nie, womit man einen Jugendlichen triggert. „Unsere Aufgabe ist es dann, sensibel damit umzugehen.“, so Hoffmann. „Dafür sind wir ausgebildet, solche Situationen auch ein stückweit aufzufangen.“ Am Ende, sagt sie, merken die Konfirmanden im besten Fall, dass einer immer für sie da ist, auf den sie vertrauen können: nämlich Gott.

Ihre erste praktische Vertrauensprobe haben Pfarrerinnen und Pfarrer und Konfis gleich am ersten Abend in der Zeltstadt erlebt. „Die Botschaft kam nach der Nachtandacht gegen 23 Uhr“, erzählt Göde. Ein schweres Gewitter drohte und die Campleitung gab bekannt, das Lager müsse evakuiert werden. „Erst sammelten wir uns mit unseren Gruppen in einem der Unterzentren. Von dort aus wurden wir, begleitet von der Feuerwehr, in eine Schule gebracht.“ Die Gewitterfront brach zusammen und nach einer Stunde konnten die Gruppen wieder zurück in die Zeltstadt. „Aber für viele war es trotzdem ein Abenteuer“, sagt Göde. „Und der darauffolgende Tag noch ein bisschen müder.“

Größere Camps auch in der Zukunft
Nach der konzentrierten Arbeit an den Vormittagen können die Jugendlichen spielen, entspannen und im Unterhaltungsprogramm der Volunteers Spaß haben. Aber auch Workshops besuchen wie einen Standardtanzkurs, ein Urban Gardening-Projekt, bei dem die Jugendlichen alternative Pflanzgefäße basteln oder an einer weiteren Kreativ-Station die Stoffbeutel bemalen, in denen sie ihr Essensgeschirr aufbewahren. Über Langeweile beklagt sich hier niemand. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind sich einig, dass sie als einzelne Kirchengemeinden so ein vielfältiges Angebot gar nicht auf die Beine stellen könnten. „Was die Menschen hier im KonfiCamp leisten, ist sehr schön und professionell“, resümiert Diakonin Hoffmann. Die Leitung funktioniere gut, das Sicherheitskonzept sei sehr durchdacht. „Und mit tausend anderen unterwegs zu sein, hat schon Charme“, sagt Grünefeld.

„In Finnland ist eine längere Fahrt für alle Konfirmanden zusammen schon lange Standard“, erzählt Pastor Möllenberg. „So ein größeres Camp würde ich mir auch für die Zukunft unserer Konfirmandenfreizeiten wünschen.“ Wenn schon nicht so zentral wie in Wittenberg, dann vielleicht gemeinsam mit den Nordkirchen oder zumindest innerhalb der oldenburgischen Kirche. Auch Hoffmann ist überzeugt, dass der Festival-Charakter des Zeltlagers mit den darin verpackten theologischen Einheiten viel ansprechender für Konfirmanden ist als der wöchentliche Unterricht der Vergangenheit: „Wir brauchen ein Konzept, das den Jugendlichen näher ist und in dem sie erleben, dass Pastor, Gemeinde und Kirche auch bereit sind, sich auf Neues einzulassen.“

Ein Beitrag von Christina Özlem Geisler.

Source: Kirche-Oldenburg