Einen höheren Einsatz für Gerechtigkeit haben der Oldenburger evangelische Bischof Thomas Adomeit und der katholische Weihbischof Wilfried Theising (Vechta) auf der zentralen Veranstaltung der christlichen Kirchen im Oldenburger Land zum Reformationstag gefordert. Die ökumenische Veranstaltung am Sonntagabend in der Delmenhorster Stadtkirche stand in diesem Jahr unter dem Motto „Schaut hin! – Wo braucht es mehr Gerechtigkeit?“. Sie stellte Fragen zur Gerechtigkeit in der Gesellschaft im Mittelpunkt eines Podiumsgespräches.
   
Gerechtigkeit sei die größte Bedingung, unter der ein Leben im friedlichen Miteinander der Menschen und im Einklang mit Gottes Schöpfung gelingen könne, sagte Bischof Thomas Adomeit. Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd, arm und reich, Groß und Klein, Jung und Alt, bunt oder blass. „Der Mensch zählt, Gerechtigkeit zählt.“ Die Pandemie habe den Finger in manche Wunden gelegt, die sicher schon vorhanden waren, aber noch nicht so wehtaten. Die Reformation habe „Selbstbestimmung, Menschenwürde, Gewissensfreiheit – auch Glaubensfreiheit – und Toleranz großgemacht“, so Adomeit. „Mit dem Erbe der Reformation stehen wir zusammen: Wir ermutigen uns, für Freiheit, Menschenwürde und Toleranz einzutreten.“ 
   
Es braucht mehr Gerechtigkeit, betonte Weihbischof Wilfried Theising in seiner Predigt. „Christliche Gerechtigkeit ist das Herstellen der richtigen Verhältnisse. Letztlich das Herstellen des richtigen Verhältnisses zu mir selbst, zum Nächsten und zu Gott.“ In diesem Verständnis sei jeweils kritisch zu fragen, ob in den aktuellen Nöten der Menschen angesichts der Pandemie auf die richtigen Verhältnisse geachtet werde.  Hinschauen bedeute, dass damit ermöglicht werde, das den Menschen „ein Leben in Würde und Gerechtigkeit“ zuteilwerde. Hinschauen sei dabei mehr, als nur hinsehen, so Theising weiter. „Schauen meint wahrnehmen und ansehen. Wo Menschen in Not um ihrer selbst willen wahrgenommen und angeschaut werden, verleiht dieses Schauen Ansehen.“ Ein solches Schauen bleibe nicht teilnahmslos, sondern übernehme Verantwortung und werde aktiv. So schaue auch Gott den Menschen an. 

Podiumsgespräch mit persönlichen Erfahrungen und Visionen nach mehr Gerechtigkeit
In einem Podiumsgespräch berichteten mehrere Personen aus Delmenhorst und um zu von ihren persönlichen Erfahrungen und über ihre Zukunftsvision von mehr Gerechtigkeit.
So forderte Hermann Abeln mehr Mitgefühl ein. Der 86jährige Vater eines Sohnes mit Behinderung erzählte, wie sein Sohn vor vielen Jahren mit Medikamenten ruhig gestellt worden sei. Dies habe zu bleibenden Einschränkungen in seinen erworbenen Fähigkeiten geführt. Er wünsche sich mehr Teilhabe für Betroffene und ihre Angehörigen in den Gremien von Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. „Entscheidungen werden getroffen, ohne mit den betroffenen Personen oder ihren Angehörigen zu sprechen“, beklagte Abeln. Auch Kirchen und Kirchengemeinden sollten sich mehr für die Rechte von Menschen mit Behinderungen einsetzen, mehr hinhören und hinsehen, so wie Jesus es getan habe. 
   
Der Süd-Nord Freiwillige Pita Hermann Katchao aus Togo machte in seinem Statement deutlich, dass die Pandemie eine Bedrohung für die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme in Westafrika sei. Aus Furcht vor Ansteckung würden in Togo zum Teil Kranke die Gesundheitsstationen nicht mehr besuchen. Das fördere andere Krankheiten. Impfstoffe stünden nur begrenzt und in städtischen Zentren zur Verfügung. Wer sich eine Fahrt dahin nicht leisten könne, bekäme keine Impfung. Unter weltweiter Gerechtigkeit stelle sich die Norddeutsche Mission vor, dass alle Menschen ihr Recht auf eine gute Gesundheitsversorgung in Anspruch nehmen können – besonders in Zeiten einer Pandemie, ergänzte die Generalsekretärin der Norddeutschen Mission, Heike Jakubeit.
   
Der Schauspieler Johannes Mitternacht berichtete von seinen Erfahrungen während der Corona-Zeit. Als selbstständiger Kulturschaffender war es ihm aufgrund der staatlich verordneten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unmöglich, seinen Beruf auszuüben. Er musste nicht nur seine sämtlichen finanziellen Rücklagen aufbrauchen, sondern war dazu noch auf private Unterstützung von Freunden und Familie angewiesen, berichtete er. Seine berufliche und private Existenz stand zwischenzeitlich kurz vor dem Aus und auch weiterhin bleibe die finanzielle Situation angespannt und belastend. Wie ihm ginge es auch zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in seiner Branche, da versprochene finanziellen Hilfen der Bundesregierung so gut wie gar nicht angekommen seien. Unter Gerechtigkeit in der Gesellschaft stellte sich Johannes Mitternacht vor, dass die schwachen Glieder mit ihren Problemen und in ihren Nöten nicht allein gelassen werden. Solidarische Hilfe müsse von der institutionalisierten Allgemeinheit bereitgestellt werden. Dazu wäre die gegenseitige Aufmerksamkeit und Wertschätzung aller hier lebenden Menschen untereinander, unabhängig von Berufsgruppe, Herkunft, dem sozialen oder finanziellen Status notwendig.
   
In weiteren Statements berichteten Vahap Aladag und Timo Rost vom Intergrationslotsenteam Delmenhorst über die Wohnungsnot in der Stadt Delmenhorst und Olaf Mehlis, Pfleger am Delme Klinikum, schilderte die Situation von Pflegekräften.  
   
Das Podiumsgespräch war eingebettet in eine Andacht, die gemeinsam von Bischof Thomas Adomeit, Weihbischof Wilfried Theising, Dr. Gabriele Lachner (Bischöfliche Beauftragte für die Ökumene und für den interreligiösen Dialog im Offizialatsbezirk Oldenburg), Pfarrer Norbert Lach (Ganderkesee), Pfarrer Thomas Meyer (Delmenhorst), Kreispfarrer Bertram Althausen und Pedro Becerra (Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Delmenhorst) gefeiert wurde. Die musikalische Gestaltung hatten Kantor Jörg Hitz, Popkantorin Karola Schmelz-Höpfner sowie der Posaunenchor unter Leitung von Holger Heinrich übernommen.
   
Die christlichen Kirchen im Oldenburger Land hatten anlässlich des Reformationstages am 31. Oktober zum vierten Mal zu einer zentralen ökumenischen Veranstaltung eingeladen. Dieser ursprünglich evangelische Tag sei zu einem gemeinsamen Feiertag geworden, hob Bischof Thomas Adomeit hervor. In Niedersachsen steht der Reformationstag seit Einführung als neuer gesetzlicher Feiertag 2018 unter dem Motto: „Reformation neu feiern“. „Reformation neu feiern“ bedeute, so Adomeit, „dass wir hinschauen, Gerechtigkeit suchen und finden, damit sie wachsen kann und die Menschen auch in Zukunft Gott für seine Schöpfung loben können und sein Wort bewahren.“ 

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Es braucht mehr Gerechtigkeit