München; Bremen (epd). Der Gründer der Internet-Plattform «Wohn:Sinn», Tobias Polsfuß (26), registriert bundesweit großes Interesse an inklusiven Wohnprojekten. «Es gibt teils lange Wartelisten», sagte Polsfuß dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Ziel inklusiver Wohnformen ist das gemeinschaftliche und selbstbestimmte Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung. «Es geht um einen gleichberechtigten Alltag auf Augenhöhe», betonte Polsfuß, der selbst seit mehr als sechs Jahren in München in einer inklusiven Wohngemeinschaft lebt.

Polsfuß ist auch Mitbegründer des Vereins «Wohn:Sinn – Bündnis für inklusives Wohnen». Der Pädagoge, der gerade sein Masterstudium zu gesellschaftlichem Wandel und Teilhabe abgeschlossen hat, schätzt die Zahl inklusiver Wohngemeinschaft bundesweit auf 40 bis 50.

«Da gibt es eine Aufbruchstimmung, aber auch einen Bedarf, der momentan nicht zu decken ist», erläuterte Polsfuß. «Von acht Erwachsenen mit einer geistigen Behinderung leben vier bei ihren Eltern, drei in einer stationären Einrichtung und einer wird ambulant betreut. Es fehlen einfach Alternativen.»

Trotz der großen Nachfrage haben Gründer von inklusiven Wohngemeinschaften mit Problemen zu kämpfen. So fehle es an geeigneten Immobilien. Oft seien Wohnungen aus dem Bestand nicht barrierefrei und schon deshalb nicht geeignet, sagt Polsfuß: «Da landet man dann ganz oft im Neubau.» Die besonderen Arbeitszeiten etwa für pädagogisches Personal, das Bewohner begleite, seien «eine Herausforderung», ergänzt Polsfuß. «Der krasse Fachkräftemangel macht uns auch zu schaffen.»

Überdies gebe es die Befürchtung, dass Menschen mit hohem Pflegebedarf bald nicht mehr inklusiv wohnen könnten, weil ihnen künftig möglicherweise nur eine Pauschale von monatlich 266 Euro aus der Pflegeversicherung zustehe. Aufgrund des Bundesteilhabegesetzes müsse der Spitzenverband der Krankenkassen derzeit neu festlegen, bei welchen Wohnformen dies der Fall sei. Der Entwurf einer Richtlinie schüre bei vielen Menschen die Angst, dass auch ambulant unterstützte und inklusive Wohnformen davon betroffen sein könnten.

Bei den Mitbewohnern ohne Behinderung handelt es sich Polsfuß zufolge meist um Studierende. «In manchen WGs unterstützen sie ihre behinderten Mitbewohner im Alltag.» Eine pädagogische oder pflegerische Ausbildung sei nie Voraussetzung für den Einzug. «Wer Lust hat, in einer inklusiven WG zu wohnen, muss lediglich offen dafür sein und ein gewisses Verantwortungsbewusstsein mitbringen.» Für alle Mitglieder sollte die WG seinen Worten zufolge nicht nur ein Schlafplatz, sondern der Lebensmittelpunkt sein: «Sie ist aber auch kein Selbstzweck – alle haben ein Leben außerhalb der WG.»

Source: Kirche-Oldenburg