Osnabrück/Detmold (epd). Der Osnabrücker Experte für Patientensicherheit, Peter Gausmann, hat nach der Aufdeckung weiterer 84 Morde durch den Krankenpfleger Niels H. die Einführung unabhängiger und vertraulicher Anlaufstellen für Klinikmitarbeiter gefordert. Allerdings seien solche furchtbaren Fehlentwicklungen, in denen Retter zu Täter würden, extrem seltene Einzelfälle, sagte der Geschäftsführer der Gesellschaft für Risiko-Beratung in Detmold, die bundesweit Kliniken berät. Solche Anlaufstellen sollten sich in der weit überwiegenden Mehrheit mit Problemen wie etwa der ethischen Überprüfung lebensverlängernder Maßnahmen beschäftigen.
Ein Fall wie der von Niels H., bei dem es um Kriminalität im Vorsatz gehe, mache kein Promille der Arbeit einer solchen Vertrauensperson aus. Allerdings gebe es in Krankenhäusern Behandlungen, die ethisch fragwürdig seien. "Denn jeder Beatmungstag bringt Geld", betonte Gausmann und ergänzte: "Wir brauchen eine Vertrauensperson in Krankenhäusern, eine Instanz, die unabhängig ist von ökonomischen Leistungszahlen."
Das Problem, das im Fall Niels H. sichtbar geworden sei, liege im hierarchischen System der Krankenhäuser und in der zunehmenden Personalverknappung. Da komme es offenbar tatsächlich vor, dass Vorgesetzte Hinweise zunächst abwiegelten, auch weil sie den Betrieb einer Intensivstation aufrechterhalten wollten, räumte Gausmann ein. Eine unabhängige Vertrauensperson hätte vermutlich intensiver recherchiert.
Darüber hinaus hält Gausmann auch hauseigene Pharmakologen in jeder Klinik für wichtig, die Medikamentenabgaben besser kontrollieren könnten. Diesen wäre auch der hohe Verbrauch eines bestimmten Medikamentes wie im Fall Niels H. aufgefallen. Auch für diese Fachleute, die es bereits in einigen Häusern gebe, gelte jedoch: "Sie hätten in erster Linie eine ganz andere Aufgabe, nämlich die oft praktizierte Polypharmazie zu verhindern." Vor allem ältere Menschen bekämen von unterschiedlichen Ärzten eine Vielzahl von Medikamenten verschrieben, die nicht aufeinander abgestimmt seien und sich in ihrer Wirkung oft sogar gegenseitig aufheben.
Gleichzeitig warnte Gausmann vor einer "Hysteriewelle", durch die Patienten zu Unrecht verunsichert würden. Es existierten bereits an rund 75 Prozent der Krankenhäuser sogenannte Fehlerberichtssysteme. Seit 2015 seien die Häuser verpflichtet, ein solches Instrument einzuführen: "Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit, per Computer anonym Fehler zu melden." Allerdings hapere es oft noch an der zeitnahen Auswertung der Ergebnisse. Da gebe es noch Verbesserungsbedarf. "Aber es ist nicht so, dass es keine Kontrollen und Alarmsysteme gibt."
H. hatte zwischen den Jahren 2000 und 2005 Patienten zunächst in einer Oldenburger, dann in einer Delmenhorster Klinik Medikamente gespritzt, die ein Herzversagen oder einen Kreislaufkollaps auslösten. Anschließend versuchte er seine Opfer zu reanimieren, um als Held zu erscheinen. Der heute 40-Jährige wurde bereits für sechs Taten verurteilt und verbüßt eine lebenslange Haftstrafe. Am Montag hatte die Sonderkommission "Kardio" ihren Abschlussbericht vorgelegt und dem Ex-Pfleger 84 weitere Morde vorgeworden.
Source: Kirche-Oldenburg