Osnabrück (epd). Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning hält die im Zusammenhang mit den sogenannten Paradise Papers vielfach geäußerte Empörung über die fehlende Moral und die Gewissenlosigkeit der Superreichen für eher scheinheilig. Es sei eine weit verbreitete menschliche Eigenschaft, für sich selbst das Beste rauszuholen und den eigenen Nutzen zu optimieren, sagte Kanning in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Das tun sehr viele, etwa wenn sie die eigene Steuererklärung optimieren oder wenn sie sich im Fachgeschäft über einen Fernseher informieren, den sie dann 20 Prozent günstiger im Internet bestellen.»

Wenn Politik und Gesellschaft Steuerschlupflöcher schließen wollten, dann müssten einheitliche europäische Steuergesetze erlassen und deren Einhaltung auch kontrolliert werden, forderte der Professor an der Hochschule Osnabrück. Das sei wie im Straßenverkehr. «Ich fahre nur dort 30 Stundenkilometer, wo das entsprechende Schild aufgestellt ist. Und manchmal ist dann eben auch noch eine Blitzkiste nötig.» Auch den Vorwurf, die Wirtschaft übe Druck auf die Politik aus, indem sie ständig mit dem Abbau von Arbeitsplätzen drohe, relativierte Kanning: «Es gehört zum Wesen der Demokratie, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Das tun Gewerkschaften oder Greenpeace auch.»

Natürlich verschlage es dem Normalverdiener in Deutschland und Europa die Sprache, wenn Millionenbeträge an Steuern nicht gezahlt würden, indem Vermögen und Gewinne in Steueroasen transferiert würden. «Aber der Konzernchef lebt in einem ganz anderen Bezugssystem», erläuterte Kanning. «Er freut sich, wenn er bei einem Geschäft 300.000 Euro sparen kann, während wir über eine Ersparnis von 300 Euro glücklich sind.»

Auch die sozialen Normen in dem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld unterscheiden sich laut Kanning grundlegend. «Wenn Uli Hoeness immer brav alle seine Steuern gezahlt hätte, hätten die Leute in seinem Bekanntenkreis ihm vielleicht den Vogel gezeigt.»

Zwar brauche eine Gesellschaft gemeinsame Werte. Aber die seien nicht naturgegeben, sondern müssten ausgehandelt werden und seien zudem interpretierbar. Die meisten Menschen hätten einen positiven Selbstwert, erläuterte der Experte. Jeder versuche, sich die Welt und sein Handeln so zurechtzulegen, dass alles mit den eigenen Vorstellungen von Moral zusammenpasse.

Der Unternehmer leiste aus seiner eigenen Sicht bereits einen enormen Beitrag für die Gesellschaft, indem er Tausende Arbeitsplätze schaffe. Zudem gebe er ja darüber hinaus Teile seines Gewinns ab, indem er durchaus Steuern zahle, nur eben in geringerer Höhe. «Es ist aus seiner Sicht also gar nicht unmoralisch, wenn er Steuern vermeidet. Zumal wenn er das auf legalem Wege tun kann und wenn er sieht, dass der Staat mit seinem Geld an vielen Stellen nicht verantwortungsbewusst umgeht, wie etwa beim Bau des Berliner Flughafens.»

Source: Kirche-Oldenburg