Hannover (epd). Die Leiterin der Fachstelle Sexualisierte Gewalt in der hannoverschen Landeskirche, Karoline Läger-Reinbold, sieht noch Verbesserungsbedarf im Umgang ihrer Kirche mit Fällen sexualisierter Gewalt: «Das ist für uns ein Lernprozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist», sagte sie dem epd. Das betreffe in erster Linie den früheren Umgang mit den Betroffenen selbst. Anstatt ihnen empathisch zu begegnen, ihnen Glauben zu schenken und eine unterstützende Haltung einzunehmen sei zum Teil versucht worden, ihnen eine Mitschuld für die Taten zu geben. «Da sind in der Vergangenheit große Fehler gemacht worden. Und auch wenn wir heute die Null-Toleranz-Linie klar vertreten und praktizieren, passieren auch heute leider noch Fehler in der Kommunikation, an denen wir arbeiten müssen.»

 

Die meisten Theologinnen und Theologen müssten einen traumasensiblen Umgang mit den Betroffenen erst noch lernen, sagte die Pastorin. Die Expertise im Bereich Traumatisierung und Traumafolgestörungen sei noch relativ neu. In der theologischen Ausbildung werde das erst seit einigen Jahren thematisiert.

 

Ein aktives Vertuschen habe es aus ihrer Sicht aber an den wenigsten Stellen gegeben, betonte Läger-Reinbold. «Es gibt bis heute stellenweise eine Unsicherheit, wie mit den Vorwürfen umzugehen ist.» Möglicherweise gebe es bei Verantwortlichen auf der Ebene der Gemeinden und Kirchenkreise auch eine Ungläubigkeit mit Blick auf die Täter und eine Blindheit für das, was an Taten möglich sei. Manch einer habe sich von Tätern blenden lassen. «Da müssen wir sensibler und aufmerksamer werden auch für solche Täterstrategien.»

 

Natürlich müssten leitende Theologinnen und Theologen ihr Team auch vor falschen Vorwürfen schützen. Dennoch sei es wichtig, Betroffenen und ihren Vorwürfen zunächst einmal Glauben zu schenken. Es dürfe nicht dazu kommen, «dass im Zweifelsfall ein Täter geschützt wird». Das erfordere «eine bessere Sensibilität, als es sie bisher gegeben hat».

 

Läger-Reinbold erinnerte an die Frau, die ihren Fall Anfang Oktober unter dem Pseudonym Lisa Meyer bekannt gemacht hatte. Sie war in den 1970er Jahren als Elfjährige von einem angehenden Diakon in der König-Christus-Gemeinde in Oesede bei Osnabrück schwer sexuell missbraucht worden. Als sie sich während einer Freizeit an eine Betreuerin gewandt hatte, hatte diese sie der Lüge bezichtigt und ihr Ärger angedroht, sollte sie die Vorwürfe wiederholen. Aufgrund der gewachsenen Aufmerksamkeit in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sei solches Verhalten kirchlicher Mitarbeiterinnen heute kaum mehr vorstellbar.

 

Lisa Meyer hatte der Kirche auch im späteren Umgang mit ihrem Fall Vertuschung vorgeworfen. Sie beklagte, dass 2010, als sie sich das erste Mal an die Kirche gewandt habe, die Kirchengemeinde nicht unterrichtet worden sei, obwohl der Täter noch gelebt habe. Der war 2018 gestorben. Der Jusitziar der Landeskirche, Rainer Mainusch hatte das damit begründet, dass der damalige Diakon bereits aus dem kirchlichen Dienst entlassen und die Taten strafrechtlich verjährt gewesen seien. Auch der Staatsanwaltschaft war der Fall damals nicht gemeldet worden.

 

Der Osnabrücker Oberstaatsanwalt Alexander Rethemeyer sagte dem epd, seine Behörde bearbeite jeden Fall, den ihr die Kirchen auf den Tisch legten, unabhängig davon, wie lange er zurückliege und ob er offenkundig verjährt sei. Wenn der Täter noch lebe, könnten sich weitere Verdachtsmomente ergeben für Taten, die noch nicht verjährt seien. «Unsere Spezialabteilung für sexuellen Missbrauch in Institutionen verfolgt alle Fälle mit großem Aufwand, selbst dann, wenn der Täter nicht mehr lebt.» Es sei aber letztlich die Entscheidung der Kirchen, wie sie verfahren.

Kirche-Oldenburg
Expertin: Kirche ist noch im Lernprozess im Umgang mit Missbrauch – Staatsanwalt: Wir gehen jedem Hinweis nach