Das Interesse an den Gedenkstätten an Opfer der NS-Zeit in Niedersachsen und Bremen hat zugenommen. Doch Verantwortliche aus den Einrichtungen warnen zugleich vor einzelnen Provokateuren, die Grenzen verschieben wollten.

Celle/Bremen (epd). Die KZ-Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Niedersachsen und Bremen verzeichnen 75 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager stabile bis steigende Besucherzahlen. Zugleich fallen zunehmend einzelne Provokateure mit antisemitischen und geschichtsverklärenden Äußerungen auf, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) zeigt. Für die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten betonte Leiter Jens-Christian Wagner, die Grenzen des Sagbaren hätten sich nach rechts verschoben. Dazu habe auch die AfD beigetragen.

In die Gedenkstätte an das frühere Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager Bergen-Belsen sind Wagner zufolge im vergangenen Jahr rund eine Viertelmillionen Menschen gekommen, so wie in den Vorjahren. Gleichbleibend sind laut Landkreis Emsland mit jährlich rund 25.000 Menschen auch die Besucherzahlen in der Gedenkstätte Esterwegen. Darunter seien viele Schüler, die sich mit der Geschichte der von den Nationalsozialisten errichteten Emslandlager befassten.

In der NS-Gedenkstätte Lager Sandbostel im Landkreis Rotenburg haben sich nach Angaben ihres Leiters Andreas Ehresmann die Zahlen 2019 auf hohem Niveau stabilisiert. Er gehe davon aus, dass es etwa 12.000 Besucherinnen und Besucher waren. In Sandbostel waren mehrere Hunderttausend Kriegsgefangene interniert. Noch kurz vor der Befreiung kamen rund 9.500 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme und seinen Außenlagern dorthin. Tausende Menschen starben an Hunger und Krankheiten.

Der Denkort «Bunker Valentin» in Bremen zählte 2019 mit mehr als 30.300 Interessierten deutlich mehr Besucher als im Vorjahr. Zum Bau des U-Boot Bunkers waren in der NS-Zeit rund 10.000 Zwangsarbeiter unter unmenschlichen Bedingungen eingesetzt. Von einem Besucherrekord spricht Arne Droldner von der KZ-Gedenkstätte Moringen. Im vergangenen Jahr hätten 1.577 Personen an Führungen zu den Moringer Konzentrationslagern teilgenommen.

Wo neue Dokumentationszentren entstehen, steigt zumeist das Besucherinteresse. In der Gedenkstätte Wolfenbüttel zur Geschichte von Justiz und Strafvollzug im Nationalsozialismus informiert seit November eine Ausstellung über Hinrichtungen und Leiden der Häftlinge. Allein im ersten Monat wurden dort laut Gedenkstättenstiftung 1.000 Besucher gezählt. Die Gedenkstätten Augustaschacht und Gestapokeller bei Osnabrück erwarten mit Eröffnung einer neuen Dauerausstellung im April ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Zahlen.

In Bergen-Belsen beobachten die Mitarbeiter Wagner zufolge seit einigen Jahren eine kleine Minderheit von Besuchern, die jedoch größer und lauter werde. Diese Menschen stellten einstudierte «Signalfragen», mit denen sie nicht kritisch nachhaken, sondern provozieren wollten. So werde zum Beispiel behauptet, das Massensterben im KZ 1945 sei durch Versorgungsengpässe infolge von Luftangriffen verursacht worden. Suggeriert werde, damit seien die Alliierten schuld, erläuterte Wagner. Ziel sei es, vermeintlich zu beweisen, dass die Gedenkstätte Lügen im Sinne eines angeblichen «Schuldkultes» verbreite.

In Moringen sei es im November zu einem antisemitischen Zwischenfall gekommen, sagte Arne Droldner. Neonazis hätten Haftbedingungen verharmlost und später in T-Shirts mit Aufschriften wie «Zensiert!» und «Fuck you Israel» vor der Gedenkstätte posiert. Auch der wissenschaftliche Leiter des Denkortes «Bunker Valentin», Marcus Meyer, äußerte sich mit Blick auf die Erinnerungskultur besorgt. «Ohne die Überlebenden wird es noch mehr gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sie zu verteidigen.»

Source: Kirche-Oldenburg