Hannover/Göttingen. Wenn in der Silvesternacht die Kirchenglocken das neue Jahr einläuten, hat das nach Ansicht des Experten Andreas Philipp weltliche Wurzeln. «Wie beim Böllern klingt dabei ein bisschen das Vertreiben von Geistern und dunklen Mächten mit», sagte der Glocken-Sachverständige der hannoverschen Landeskirche dem Evangelischen Pressedienst (epd). Inschriften auf Glocken deuteten noch auf die mittelalterliche Überzeugung hin, mit dem Glockenklang verbreite sich Segen. «Streng liturgisch besteht für die Kirchen dagegen kein Anlass zu läuten. Das Kirchenjahr beginnt ja schon am 1. Advent.»
Allein in Niedersachsen erschallen zum Jahreswechsel nach Philipps Schätzungen mehr als 8.000 Glocken der evangelischen und katholischen Kirchen. Mit jeweils zwölf Glocken ist das Geläut beim Braunschweiger und beim Hildesheimer Dom landesweit am umfangreichsten. Die größte Glocke schwingt in der evangelischen Marktkirche in Hannover. Mit mehr als zehn Tonnen Gewicht erzeugt sie einen besonders tiefen Ton.
Die ältesten Glocken im Land, etwa in Lüneburg und dem benachbarten Bardowick, waren wohl bereits im 12. Jahrhundert zu hören, sagte der Sachverständige – damals aber vermutlich kaum zu Silvester. «Ich denke nicht, dass früher der Beginn des weltlichen neuen Jahres für die Kirche eine große Rolle gespielt hat.» Zudem mussten die Glocken per Hand geläutet werden. «Man musste die Leute dafür bezahlen. Da wird es ein großes Geläut nur an hohen kirchlichen Feiertagen gegeben haben.»
Insgesamt hätten die Glockentöne einstmals eine wichtige Funktion gehabt, sagte der Sachverständige aus Göttingen. Zum Beispiel sei das Sterbegeläut viel differenzierter gewesen als heute. «Man konnte unterscheiden, ob ein Mann, eine Frau oder ein Kind gestorben war.» Die Menschen hätten den jeweiligen Klang verstanden. So habe es auch Glocken gegeben, die ganz weltliche Signale gaben – etwa die Bierglocke oder die Weinglocke zum Schankschluss in den Gasthäusern.
Heutzutage ertönten die Kirchen-Glocken in der Regel zu Gottesdiensten und anderen liturgischen Anlässen, sagte der Experte. Der nächtliche Uhrschlag sei vielerorts eingestellt worden, auch weil es Beschwerden gab. Einige ältere Menschen vermissten jedoch bei Schlaflosigkeit den Stundenschlag zu ihrer Orientierung, weiß Philipp. Die meisten Läuteordnungen sähen aber vor, dass zum Jahreswechsel mitten in der Nacht das volle Geläut in Bewegung gesetzt werde. «Und dann beschwert sich keiner.»
epd/Karen Miether
Source: Kirche-Oldenburg