Schwingen, Schaukeln und Staunen: Das können gerade Besucherinnen und Besucher der evangelischen Liebfrauenkirche in Bremen erleben. Unter dem Gewölbe hängt an langen Ketten eine Partnerschaukel, die nur gemeinsam funktioniert. Zu zweit, im Dialog.

Bremen (epd). Langsam, fast in Zeitlupe schweben Anna und Jonathan über dem Boden. Die beiden Kinder, neun und zehn Jahre alt, haben sichtlich Spaß an der ungewöhnlichen Aktion, die nicht irgendwo passiert, sondern im leer geräumten Schiff der historischen Liebfrauenkirche in der Bremer Innenstadt: Unter dem Gewölbe der Backsteinbasilika hat der Osnabrücker Raumkünstler Mario Haunhorst eine Partnerschaukel aufgehängt, die die beiden Kinder gerade ausprobieren.

«Hier geht alles nur zusammen, nichts alleine», sagt der Künstler, der auf Wunsch beim Aufsteigen und beim Schwungholen assistiert. «Selig schaukeln, glauben, hoffen und lieben» haben Haunhorst und Gemeindepastor Stephan Kreutz die Aktion genannt. Mit dem kleinen Zusatz: «Auf eigene Gefahr.»

Das physikalische Prinzip ist das des gekoppelten Pendels: Die zwei vom Gewölbe an 13 Meter langen Ketten hängenden Schaukelsitze sind im oberen Teil der Konstruktion miteinander verbunden. Erstmals umgesetzt hat das Prinzip der deutsche Philosoph, Tischler, Künstler und Pädagoge Hugo Kükelhaus (1900-1984), dem es in seiner Arbeit auf Erfahrungen mit allen Sinnen ankam.

In der Kirche funktioniert das so: Beginnt einer der beiden Schaukelnden mit seinen Bewegungen, überträgt sich die Energie langsam, fast zärtlich auf den anderen – und zwar ohne dass der irgendetwas tun muss. «Es ist die Erfahrung: Kraft wird abgegeben, Kraft wird empfangen», fasst Kreutz das Erlebnis derjenigen zusammen, die sich auf das Experiment einlassen. «Wenn das funktioniert, schwebt man frei in der Luft, ein wahrhaft himmlisches Vergnügen.»

Immer wieder kommen neue Gäste in die Kirche und schauen verblüfft auf den leeren Raum und die ungewöhnliche Installation, die von den berühmten Manessier-Fenstern in der Fassade zudem noch in ein magisches Licht getaucht wird. Etliche Besucherinnen und Besucher reagieren mit einem Lächeln, einige ziehen gleich die Jacke aus und wollen es selbst erleben. Einzige Voraussetzung: Die Partner auf den Schaukeln sollten in etwas das gleiche Gewicht haben, sonst funktioniert es nicht.

«Es ist ein Miteinander im Dialog, und das an einem besonderen Ort», beschreibt es Raumkünstler Haunhorst. «Man muss sich einlassen, aufeinander einschwingen. Ohne Worte lässt sich hier körperlich und mit allen Sinnen erleben, dass es auf das ankommt, was uns verbindet.» Und natürlich, so viel ist klar, sehen Haunhorst und Kreutz in dem Projekt auch ein Symbol für das, was die Gesellschaft derzeit so dringend nötig hat: die Dinge gemeinsam anpacken.

Spiegelflächen auf dem Boden sorgen außerdem dafür, dass der Gewölbehimmel der Kirche auch am Boden zu sehen ist. Der evangelische Theologe Stephan Kreutz drückt es bildhaft aus: «Himmel und Erde berühren sich, während man frei durch den Raum und die bunten Farben der Manessier-Fenster schwebt.»

Wer die himmlische Schaukelei ausprobieren möchte, hat dazu bis zum 11. November in der Kirche Unser Lieben Frauen Gelegenheit. Besondere Abende werden beispielsweise für Liebende organisiert, dann mit Kerzenschein, Wein und Musik. Auch zu den Klängen der Handpan, einem fast magisch klingenden Instrument aus zwei verbundenen Metall-Klangschalen, kann geschaukelt werden – und mit der Bremer Schriftstellerin Claudia Grabowski, die unter dem Titel «Frauen, die schaukeln» eine passende Kulturgeschichte zum Thema geschrieben hat, mit Bildern vom Schwungholen und Freisein, von Leichtigkeit, Freude und Unbeschwertheit.

Das ist es auch, was Anna und Jonathan erlebt haben. Es sei ein Gefühl von Leichtigkeit gewesen, beschreibt es das Mädchen. «Als ob man schwebt.» Und Jonathan ergänzt: «Man denkt, der Schwung ist zu Ende. Aber dann fliegt man doch noch weiter.»
 

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Himmlische Schaukelei – Bremer starten in einer leeren Kirche Experiment mit Symbolcharakter