Durch einen Zufall entdeckt der Manager Benjamin Marx einen Bericht über einen nach Deutschland geflüchteten syrischen Sozialarbeiter. Spontan entscheidet er sich, ihn einzustellen – gegen alle Kritik.
Braunschweig/Köln (epd). Die Entscheidung fällt spontan: Im Herbst
2015 liest Benjamin Marx, Manager eines Kölner Wohnprojekts für Flüchtlinge, einen Zeitungsbericht über einen aus Syrien geflüchteten Sozialarbeiter. «Genau solche Leute brauchen wir», schreibt Marx kurzerhand in einer Mail an den Evangelischen Pressedienst (epd), der den Artikel veröffentlicht hatte. Die Redaktion vermittelt den Kontakt zu dem in Braunschweig lebenden Maher Krait. Rund drei Monate später hält der heute 31-Jährige aus Damaskus seinen ersten deutschen Arbeitsvertrag als Sprach- und Kulturdolmetscher in den Händen.
Im Eilverfahren lernt der junge Syrer Deutsch. Mit dem Arbeitsvertrag in der Tasche hofft er, seine in Syrien zurückgelassene Frau und seine damals zwei Monate alte Tochter so schnell wie möglich nach Köln holen zu können. Doch das Verfahren um ein Visum verzögert sich. Täglich fürchtet er um das Leben seiner Familie. «Immer wieder haben Bomben in Damaskus Menschen in der Nähe getötet.» Seine 31-jährige Frau Nebal habe das Haus kaum noch verlassen, erzählt er. Zwischenzeitlich rutscht Krait deshalb in eine tiefe Krise. «Wenn ich gewusst hätte, dass es so lange dauert, wäre ich wahrscheinlich gar nicht nach Deutschland gekommen», sagt er schließlich zögernd.
Während dieser Zeit steht der Manager Marx ihm zur Seite. Unterschwellige Kritik von Kollegen, dass der junge Syrer ja über keine anerkannte Ausbildung als Sozialarbeiter verfüge, wehrt er energisch ab. Sozialarbeiter lernten in ihrer Ausbildung ja eher, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu helfen und wüssten nicht unbedingt, wie Integrationsarbeit funktioniert, betont er im rheinischen Dialekt. «Ein Flüchtling, der über die Balkanroute gekommen ist und vorher im Boot auf dem Meer war, der hat seinen Lebenswillen schon bewiesen. Der muss einfach nur lernen, wie Deutschland funktioniert – und diese Kernkompetenz hat Herr Krait.»
Krait lebt und arbeitet heute in einem neu geschaffenen Wohnprojekt für Flüchtlinge in der Kölner Altstadt. Mittlerweile spricht er ein fast akzentfreies Deutsch. Geholfen hat ihm vor allem, dass ihm seine Arbeitskollegen Englisch nur im Notfall erlaubt haben.
Inzwischen gibt er den Flüchtlingen aus dem Wohnprojekt in einem eigens eingerichteten Kursraum selbst Unterricht.
Nur wenn der Strom in Syrien funktionierte, konnte Krait über das Internet mit seiner Familie telefonieren. «Das ging nicht jeden Tag.» Vor wenigen Wochen dann die erlösende Nachricht: Frau und Tochter bekommen ein Visum. Am 20. März schloss der junge Syrer am Flughafen seine fast zweijährige Tochter und seine Frau in die Arme. «Dieses Datum werde ich nie vergessen», strahlt Krait während seine Tochter Jessica vor ihm vergnügt von einem Bein aufs andere hüpft.
Marx ist überzeugt davon, dass Krait den Menschen aufgrund seiner eigenen Fluchterfahrung besser auf Augenhöhe begegnen kann. Und Krait selbst ergänzt: «Ich kann sehr gut nachfühlen, wie schwierig das Ankommen in Deutschland ist.» Bevor er selbst zum Flüchtling wurde, arbeitete Krait als Caritas-Mitarbeiter in Damaskus und half in einem medizinischen Zentrum. Doch der Weg zur Arbeit wurde immer gefährlicher. Eine Bombe verfehlte ihn nur knapp.
So entschloss er sich zur Flucht – seine Route im Sommer 2015 führte über den Libanon in die Türkei. In einem Boot gelangte er nach Griechenland, dann ging es weiter über den Balkan. Über Umwege gelangte er in die überfüllte niedersächsische Landesaufnahmebehörde in Braunschweig. Durch Zufall traf er in einer katholischen Gemeinde eine Familie, die ihn kurzerhand bei sich aufnahm. Mit Hilfe dieser Gastfamilie fand er Sprachkurse und paukte von morgens bis abends.
Sein erstes Interview gab er damals noch auf Englisch. «Die Sprache ist der Schlüssel, um Arbeit zu finden», sagte er. Heute will Krait alle neu ankommenden Flüchtlinge ermutigen, trotz der Sorgen um zurückgebliebene Familienangehörige nicht aufzugeben. «Es ist schwierig, aber man kann es schaffen», sagt er bestimmt und sieht Marx an: «Ich bin allen dankbar, die mir geholfen haben.»
Manager Marx ist hoch zufrieden mit seinem Schützling. «Er hat Empathie für die Menschen, mit denen er arbeitet.» Dass Krait seine Arbeitszeugnisse erstmal nur auf Arabisch vorlegen konnte, hat Marx im Gegensatz zu seinen Kollegen nicht gestört. «Solche Papiere nützen ja nichts, wenn der Mensch dann vielleicht ganz anders ist», sagt der Manager mit einem Schmunzeln: «Ich mag Wundertüten.»
Source: Kirche-Oldenburg