Vechta (epd). Die wachsende Zahl antisemitischer Übergriffe zerstört nach Auffassung der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, das Vertrauen vor allem junger und gut ausgebildeter jüdischer Menschen in eine Zukunft in Deutschland. «Meine Sorge gilt der ferneren Zukunft», sagte Knobloch am Mittwoch in einem Online-Forum des Zentrums für Vertrauensforschung an der Universität Vechta.

 

Für den langfristigen Vertrauensverlust der jüdischen Gemeinschaft sei es entscheidend, ob Staat und Gesellschaft den Eindruck vermittelten, sie könnten oder wollten dem Antisemitismus nicht klar entgegentreten, führte die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. «Das Schwert des Rechtes ist offensichtlich in vielen Fällen nicht scharf genug, um jüdischen Menschen in prekären Lagen zu helfen», sagte Knobloch und betonte, das Fundament jüdischen Lebens sei Vertrauen: «Wenn warmen Worten keine Taten folgen, wird dieses Fundament am Ende nachgeben.»

 

Als «standhafte Optimistin» sehe sie, dass die Politik das Problem erkannt habe, zugleich müsse auf lange Sicht mehr passieren, um dem Antisemitismus entgegenzutreten. Sie selbst habe noch Vertrauen, «es zu verbreiten, wird eine enorm große Herausforderung sein». Die Bildungsexpertin Vanessa Eisenhardt ergänzte, eine vertrauensbildende Maßnahme sei es auch, den Überlebenden des Holocaust zuzuhören.

 

Knobloch und Eisenhardt äußerten sich als Gäste in der dritten Folge der Vortragsreihe «Vechtaer trust lectures» unter der Leitung von Professor Martin Schweer, diesmal zum Zusammenhang zwischen Vertrauen, Misstrauen und Antisemitismus. Schweer sagte, Vertrauen sei der soziale Kitt in einer Gesellschaft, die gerade vor vielfältigen Herausforderungen stehe. «Unsicherheiten und Ängste strapazieren Vertrauen, das zunehmende Misstrauen in der Bevölkerung begünstigt den Antisemitismus», warnte der Psychologe.

 

Die «Vechtaer trust lectures» des Zentrums für Vertrauensforschung wurden 2019 gestartet. Eingeladen werden Persönlichkeiten aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, die sich in ihren Erfahrungen und Impulsen mit dem Thema Vertrauen beschäftigen. Gastredner waren bisher der katholische Weihbischof Wilfried Theising und Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf (SPD). Im November soll es in einer vierten Ausgabe der Reihe thematisch um das Vertrauen in das Gesundheitssystem gehen.

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Knobloch warnt vor Vertrauensverlust in deutsche Gesellschaft