Früher haben einige von ihnen die Fäuste sprechen lassen, jetzt greifen sie zu Pinsel und Farbe: Im Bremer Knast zeigen Häftlinge, dass Kunst die Chance bietet, eigene Talente und Stärken zu entdecken – fernab krimineller Wege.

Bremen (epd). Eine Frau stürzt rücklings in den Schlund eines Vulkans. Über ihr auf dem Acryl-Bild schwebt ein Mann, den rechten Arm wie zum rettenden Griff ausgestreckt. «Aber er stürzt auch – wenn sie unten ankommen, sind sie tot», sagt Zaza. «Hoffnungslos», meint der 18-Jährige, der in der Bremer Justizvollzugsanstalt einsitzt und das Bild dort auch gemalt hat. Die Arbeit ist Teil des Gewaltpräventionsprojektes «Picasso meets the Streets», das die Bremer Kunsthalle seit drei Jahren in der Anstalt organisiert. Mit Kunst im Knast Wege aufzeigen, wie man sich gewaltfrei ausdrücken
kann: Das ist Sinn des Projektes.

Die Bremer Kunsthalle sei das bisher einzige Museum in Deutschland, das diesen Weg gehe, sagt ihr Direktor Christoph Grunenberg. «Wir wollen die Idee des offenen Museums in die geschlossene Anstalt bringen», betont der Kunstexperte am Dienstag bei einer Präsentation der Ergebnisse in den Räumen der Gefängnis-Schule. Das Projekt «Picasso meets the Streets» biete mit Workshops und Ausstellungen künstlerischen Ausdruck als nachhaltige soziale Bestätigung an, ergänzt Hartwig Dingfelder, Bildungsreferent der Kunsthalle.

Bei Zaza wollte das zuerst nicht recht klappen. «Ich habe früher nicht gemalt», berichtet der junge Mann. Zuerst hatte er auch im Knast keine Lust, fing aber bald Feuer. In vier Wochen bekam er unter Anleitung der Bremer Künstlerin und Kunstpädagogin Dina Koper das Motiv auf die Leinwand, das viel mit seinem aktuellen Lebensgefühl zu tun hat. «Ich war dabei ruhig, entspannt, innerlich bei mir», erinnert er sich und möchte beim nächsten Projektdurchgang unbedingt wieder dabei sein. Auch für draußen hat er jetzt schon Pläne: «Den Realschulabschluss machen, und als Hobby was Künstlerisches.»

In den Workshops entstanden großformatige Bilder, die anschließend in der Kunsthalle ausgestellt wurden. «In vielen Insassen steckt ein Künstler», hat Anstaltsleiter Carsten Bauer entdeckt. Er freut über das Projekt, das eine Brücke aus dem Gefängnis in die Stadt schlägt.

Und Zaza? «Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas hinbekomme», meint er. Koper betont, die Häftlinge seien außergewöhnlich engagiert und interessiert gewesen: «Ich hatte zuerst Muffensausen, hier zu arbeiten. Aber es war ein Genuss, der Umgang respektvoll. Es hat sich bestätigt, dass es einen großen Bedarf gibt, sich selber auszudrücken – und der künstlerisch angeleitete Weg scheint dafür optimal.»

Bisher beteiligten sich etwa 20 Männer und Frauen an dem Projekt, das private Sponsoren und die VGH-Stiftung finanziell fördern. Eine nächste Runde ist geplant. «In der Arbeit steckt Freude, Konzentration und Herzblut», hat Regina Babovic-Born beobachtet, die in der Schule der Haftanstalt unterrichtet. «Die Malerei bedeutet Abwechslung, ist aber auch eine starke Kraft, die Mut machen kann», bekräftigt die Pädagogin. «Das gibt den hungernden Seelen Nahrung.»

Wonach sich Jan (22) sehnt, das hat auch er auf eine Leinwand gemalt. In der Mitte steht er selbst mit einem Pullover, auf dem das Porträt seiner Freundin zu sehen ist. «Ex-Freundin», sagt er. Mehr als drei Monate hat er an dem Bild gemalt. Sein Sohn Tyler-Pascal, ein Freund, die Werder-Raute, eine Kick-Boxerin: Alles das ist auf dem Bild zu erkennen. «Das ist mir alles wichtig», sagt der junge Mann, der nun seit mehr als zwei Jahren einsitzt.

Ein paar Meter weiter hängt das Motiv von Marcel. Marionettenhände führen die Menschen. «Die Welt wird von oben regiert», fasst Dina Koper die zentrale Bildaussage in Worte. Dazu Soldaten, Flüchtlinge, Krieg: Die Leinwand ist voller aktueller Themen.

Das Projekt ist mit der Chance verbunden, in der Haft einen Schulabschluss nachzuholen, was unter anderen Zaza auch gelungen ist. Justizstaatsrat Matthias Stauch (SPD) sagt, Kunst biete den Menschen die Chance, eigene Talente und Stärken zu entdecken. «Dadurch wird die persönliche Entwicklung gefördert, Identität und Selbstwertgefühl werden gestärkt, neue Bildungskompetenzen erworben.»

So düster wie Zaza selbst sieht Kunstpädagogin Koper das Bild von dem stürzenden Paar über dem Vulkan übrigens nicht. «Die beiden fallen schön», findet sie. Und: «Es könnte ja im nächsten Moment auch ein Adler kommen, der sie rettet.»
Source: Kirche-Oldenburg