Mädchen und Frauen leiden meist lebenslang an einer Beschneidung, die oft unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen erfolgt. Weltweit sind es 200 Millionen. Allein in Deutschland droht die Prozedur nahezu 10.000 Mädchen.
Hannover (epd). Shadia ist eine von fast 50.000: Die 52-Jährige aus dem Sudan gehört zu der wachsenden Zahl von Frauen in der Bundesrepublik, die Opfer einer Genitalverstümmelung wurden. In ihrem Heimatland wurde Shadia als junge Frau so beschnitten, dass sie seither ständige Schmerzen beim Wasserlassen hatte, von der Menstruation oder Sex ganz zu schweigen. 2015 kam sie nach Deutschland und fand Hilfe bei «Dr. Conny».
Cornelia Strunz ist Ärztin am Desert Flower Center in Berlin, das beschnittenen Frauen sowohl medizinische Hilfe als auch psychosoziale Unterstützung bietet. «Der Fokus liegt nicht auf der Operation, auch wenn diese dann vielleicht nötig ist», sagt Strunz. «Wir unterhalten uns über alle Probleme, die die Frauen haben.» Neben Beratung und Therapie gibt es auch eine Selbsthilfegruppe, in der die Frauen Rückhalt und Mut gewinnen.
Und Mut ist nötig. «Die Genitalverstümmelung ist meist ein Tabuthema», sagt Strunz. «Die meisten Frauen reden nicht darüber, dass sie zu uns kommen. Sie wollen nicht, dass in ihrem Umfeld jemand davon erfährt.» Einfacher wird es für Opfer, wenn sie die Rückendeckung ihres Mannes haben, der ihr Leid einschätzen kann und den Gang zu Arzt und Helfern mitträgt.
Shadia hatte dieses Glück. Ihr Ehemann begleitete sie zum Desert Flower Center am Krankenhaus Waldfriede. Die Einrichtung, eine von ganz wenigen Angeboten dieser Art in Deutschland, ist benannt in Anlehnung an das somalische Model Waris Dirie, das in seinem Buch «Desert Flower» («Wüstenblume») über das eigene Schicksal der Genitalverstümmelung berichtet hat. Gerne gibt Shadia nun Unterstützung an andere weiter, zuletzt an Salma aus Großbritannien, die ebenfalls zur Behandlung nach Berlin kam. «Ich stehe in Verbindung zu Salma», schreibt sie nach der OP an die Ärztin Strunz. Die neue Freundin sei sehr glücklich über den erfolgreichen Verlauf der Operation. «Danke Dr. Conny!»
Nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation «Terre des Femmes» leben in Deutschland mehr als 48.000 Opfer weiblicher Genitalverstümmlung – Tendenz steigend. Im Vergleich zu 2014 sei das eine Zunahme von 37 Prozent, erklärt Fachreferentin Charlotte Weil. Das sei vor allem auf verstärkte Migration aus Ländern wie Somalia und Eritrea zurückzuführen, wo diese Art der Beschneidung besonders häufig vorkommt.
Rund 200 Millionen Frauen und Mädchen weltweit sind an ihren Genitalien verstümmelt, häufig erfolgt die Beschneidung unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. Die Praxis ist in etwa 30 afrikanischen Ländern verbreitet. Außerhalb Afrikas wird der Eingriff auch in arabischen Ländern wie Oman und dem Jemen sowie in einigen asiatischen Ländern wie Indonesien oder Malaysia vorgenommen. Doch auch in Deutschland sind Mädchen aus den entsprechenden Gemeinschaften nicht sicher.
Mehr als 9.300 Mädchen hierzulande seien in Gefahr, dem lebensgefährlichen Eingriff unterworfen zu werden, sagt Weil. «Bei Familien, die aus Gemeinschaften kommen, die weibliche Genitalverstümmelung praktizieren, gibt es immer wieder sogenannte Ferienbeschneidungen», erklärt sie. «Sie fliegen in den Sommerferien mit der Tochter oder Enkelin in die Heimatregion und kommen mit einem verstümmelten Kind zurück.» Auch Beschneiderinnen in Paris oder Amsterdam sollen ihre Dienste offerieren.
Im Kampf gegen die Verstümmelung setzt «Terre des Femmes» vor allem auf Aufklärung über die dramatischen Folgen. Projekte, bei denen Schlüsselfiguren in den Communitys als Multiplikatorinnen gewonnen werden können, zeigen durchaus Erfolge. «Wir bekommen Rückmeldung, dass es eine Öffnung bei diesem Tabuthema gibt», sagt Weil. «Und wir hören auch von Frauen, die nun ganz klar sagen: Ich wusste das alles nicht. Meine Tochter wird auf keinen Fall beschnitten!»
Immer wieder widersetzen sich Frauen zudem einer Verstümmelung ihrer Genitalien. Das Münchner Büro der Menschenrechtsorganisation Solwodi (Solidarität mit Frauen in Not) berichtet etwa von einer Reihe von Fällen, bei denen Frauen, die eine mögliche Beschneidung bei sich oder der Tochter fürchten, Zuflucht dort suchten.
Großer Bedarf besteht nach Angaben von «Terre des Femmes» dabei nach wie vor bei der Ausbildung von Fachpersonal. Nicht nur medizinische Experten, sondern auch Sozialarbeiter müssten besser geschult werden, sagt Weil. Und auch an Pädagogen richtet sich die Aufklärung: «Damit Erzieher und Lehrer erkennen, wo Mädchen bedroht sind, und rechtzeitig eingreifen können, um diese Mädchen zu schützen.»
Source: Kirche-Oldenburg