Sie haben die gleichen Initialen, beide lieben die Provokation, ihre Gedankenwelt kreist häufig um mythologische Figuren und antike Gottheiten. Ludwig Münstermann und Markus Lüpertz verbindet offenbar mehr als sie die 400 Jahre trennt, die zwischen ihren Lebenszeiten liegen. Während Ludwig Münstermann nicht nur in unserer Region im Bewusstsein der Menschen rege vorhanden ist und allmählich auch überregional als großer Bildhauer und Künstler des 17. Jahrhunderts wahrgenommen wird, ist Markus Lüpertz längst im Olymp der gegenwärtigen Kunstszene angekommen und sieht sich nicht ganz uneitel als Malerfürst mit eindeutigem Interesse an mythologischen Figuren und antiken Skulpturen.

Diese Vorlieben trieben ihn wohl auch ins Berliner Bodemuseum, um dort während einer dreiwöchigen Umbauphase in der Werkstatt den hölzernen „Apoll aus Varel“, einem oft bezeichneten Hauptwerk Münstermanns, genauer in Augenschein zu nehmen. Mit großen Papierbögen, Kohlestiften, Kreiden und Gouachefarben bewaffnet, näherte sich Lüpertz der Skulptur Münstermanns, studierte sie zeichnerisch, überhöhte sie, legte farbige Schichten dazu, setzte Ornamentfragmente dagegen. Immer mit einem lockeren, dominanten, spielerisch wirkenden Pinselduktus. Gerade auch Kopf und Körperhaltung scheinen Lüpertz besonders interessiert zu haben.

96 Arbeiten entstanden auf diese Weise, Zeugnis eines rauschhaften Dialoges mit einem vor vier Jahrhunderten im Norddeutschen durchaus bekannten und geschätzten Meisterholzschnitzers. 14 dieser Zeichnungen sind nun in der Vareler Schlosskirche St. Petri noch bis zum 7. April jeweils dienstags bis sonntags von 15 bis 19 Uhr zu sehen. Die Ausstellung ist ein Vareler Beitrag zum Gedenkjahr der Reformation.

Bei der Vernissage am Freitag kamen viele Kunstinteressierte, die sich die Originalzeichnungen eines der berühmtesten deutschen Maler nicht entgehen lassen wollten. Pfarrer Tom Brok freute sich über die künstlerische Begegnung zu Füßen des wohl imposantesten Münstermannaltares, der neben den Holzarbeiten auch solche aus Alabaster und Sandstein beinhaltet und sehr farbprächtig mit etlichen Goldverzierungen daherkommt. „Willkommen im lüsterglänzenden Kunstraum Ludwig Münstermanns“, begrüßte Brok die Gäste und gab zu bedenken: „Was würden wir darum geben, wenn noch heute das 1615 erschaffene Orgelprospekt, aus dem der Apoll stammt, vorhanden wäre?“ Dem Unglück des Verlustes stehe aber nun das Glück des Werkes von Markus Lüpertz gegenüber. Zur musikalischen Gestaltung trugen Kantor Thomas Meyer-Bauer und Kantorin Dorothee Bauer mit einer beeindruckenden Improvisation zum Thema Apoll und David bei.

„Nichts Neues“
Bischof Jan Janssen las zur Einführung aus dem Buch des Predigers 1,1-10, in dem es um die Reden des König Davids geht, der nach dem Sinn aller Dinge fragt, die doch immer wiederzukehren scheinen. Er fühle sich an ein sinnliches Wort aus Bibelversen erinnert, angesichts der Bilder, erklärte der Bischof: „Das Auge sieht sich niemals satt, und das Ohr hört sich niemals satt.“

„Nichts Neues“, so nannte Lüpertz seine Werkblätter zu Apoll und eben dies wisse das Weisheitsbuch der Bibel schon lange: „Nichts Neues unter der Sonne – weder im Wirken des Menschen, noch sogar in der ganzen Schöpfung“. Und einige Momente später: „Welche Freude über Davids Musik und Salomons Weisheit! Welche Lust an Ludwig Münstermanns Werken und an den eindrücklichen Arbeiten von Markus Lüpertz unter diesem bescheiden sich einreihenden Motto Nichts Neues!“ Bischof Janssen bedankte sich bei allen, die zum Gelingen der anregenden Ausstellung und Begegnung beigetragen haben. Finanziell gefördert wurde die Ausstellung durch die Ev.-Luth. Kirche Oldenburg, den Förderkreis der Schlosskirche St. Petri, den Vareler Gemeindekirchenrat, die Oldenburgische Landschaft und die Kurverwaltung Dangast.  

Fruchtbare Symbiose
Über „Markus Lüpertz und die mythologischen Figuren“ in seinem Werk berichtete Dr. Jutta Moster-Hoos, Leiterin des Horst-Janssen-Museum in Oldenburg, die 2012 bereits eine Ausstellung mit Arbeiten Lüpertz organisiert hatte und den Maler persönlich kennenlernen konnte hat. Die Heroen und Figuren Lüpertz entsprächen nicht gängigen Schönheitsidealen, sie seien unförmig und knubbelig, erklärte Moster-Hoos. Er entwickelte für sich die Dithyrambische Malerei, abgeleitet vom griechischen Dithyrambus. Es handelt sich um ein leidenschaftlich erregtes, stürmisches Loblied auf den Gott Dyonisos. In übertragener Bedeutung meint es einen begeisterten Lobgesang. Bei der Dithyrambe geht potenziell alles ineinander über, es gibt nichts Isoliertes. Lüpertz verbindet die Gegensätze von Gegenständlichkeit und Abstraktion zu einer Synthese. Auch antike Götter seien bei Lüpertz nicht vollkommen.

Von einer fruchtbaren Symbiose von Kunst und Kirche, die leider durch den ersten Weltkrieg unwiderruflich zerstört worden sei, sprach Dr. Dietmar Ponert in seiner Laudatio. Der Berliner Kunsthistoriker gilt als Münstermann-Experte und hat unter anderem das 2016 erschienene Buch „Ludwig Münstermann“ mitverfasst. Für ihn könne es nur den Imperativ geben: „Kunst in der Kirche!“ Die Praxis jedoch zeige eine „Kunst für die Kirche“ auf einer Ebene der angewandten Kunst, welche sich eher in der Funktionalität erfülle, als eine autonom fordernde Wirkung zu zeitigen.

Auf abenteuerlichen Wegen kam die Figur des Apoll ins Bodemuseum. Einst zierte sie das 1615 geschaffene Orgelprospekt auf der Westempore des Langhauses in der Schlosskirche. Ihr gegenüber stand der biblische König David, der einst im musikalischen Wettstreit mit dem Musengott Apoll stand.

Schroffe Provokation
Im Jahr 1861 wurde die betagte Orgel komplett abgerissen und bis auf den Apoll ist fast nichts übriggeblieben vom einstigen prachtvollen Münstermannwerk. Der Direktor des Oldenburger Landesmuseums, Herbert Wolfgang Keiser, spürte die Skulptur in Vareler Privatbesitz auf und vermittelte sie schließlich in die Skulpturensammlung der Staatlichen Museen nach Berlin-Dahlem.

Wie Münstermann einst die ausgewogenen Proportionen der klassisch schönen Figuren „rücksichtslos und provokant missachtet habe und seinem persönlichen unbegrenzten Ausdruckswillen unterworfen“ habe, so verfremde auch Lüpertz auf sehr ähnliche Weise die überkommenen und vom Betrachter erwarteten ästhetischen Eigenschaften antiker Idealität, so Ponert. Er verfolge offenbar eine Absicht zur schroffen Provokation des Publikums in seiner reflektorischen Erwartungshaltung.

„Die Gestaltungsmittel einer extremen Expressivität, wie sie Markus Lüpertz anwendet, dienen also dem schockierenden Effekt einer spontanen Ablehnung des Betrachters in Bestürzung und Empörung“, beschrieb der Kunsthistoriker die Arbeitsweise. Und er sprach von einer „wahrhaft großartigen und beeindruckenden fruchtbaren Zusammenarbeit zweier Bildhauer, angesichts der Steigerung und Wandlung durch graphische Strukturen in vielfältigen Variationen der „flirrend expressive Bewegungen“ Münstermanns.

Lüpertz dauerhaft in der Schlosskirche?
Ponert ließ sich darüber hinaus zu einer kühnen Idee hinreißen: Er könne sich durchaus vorstellen, dass Markus Lüpertz vier an der 1613 erbauten Münstermann-Kanzel fehlenden Sitzfiguren der Evangelisten neu in Bronze erschaffen könnte. Er werde persönlich Personen im engagierten Mäzenentum für dieses Projekt begeistern. „Denn mit dem Einsatz der fehlenden Figuren begänne die Vareler Kunstmeile schon im Kunstraum der Schlosskirche und damit direkt bei Ludwig Münstermann!“ Mit diesem forschen Vorhaben versetzte er die Zuhörer sichtlich in Staunen. Pfarrer Tom Brok jedoch sprach von „einer atemberaubenden Idee, unsere Kanzel zu vervollständigen“.

Im anschließenden Gespräch konnte sich Pfarrer Brok allerdings auch mit der Idee anfreunden, die beiden Figuren des Apoll und des David als Bronzefiguren aus den Händen Lüpertz auf der Westempore zu platzieren und somit an die verlorengegangene Orgel zu erinnern. „Wir werden am Thema Lüpertz dranbleiben“, versprach er zuversichtlich.

Ob es in Zukunft wirklich dazu kommen wird, dass der große deutsche gut gekleidete Gegenwartsmaler, gestützt auf seine „Kreativkrücke“, wirklich einmal in den Genuss des Anblicks eines der prächtigsten Münstermann-Altäre zu kommen, bleibt abzuwarten. Es wäre Lüpertz zu wünschen.    
 
Markus Lüpertz, geboren 1941, zählt zu den bekanntesten deutschen Künstlern der Gegenwart. Seine Bildgegenstände zeichnen sich durch suggestive Kraft und archaische Monumentalität aus. Der Maler, Bildhauer und Graphiker Lüpertz dringt darauf, den Darstellungsgegenstand mit einer archetypischen Aussage seines Daseins festzuhalten.

Auch für Kirchenfenster in der Marienkirche zu Lübeck lieferte Lüpertz die Vorlagen. Im Juli 2012 stellte er Entwürfe für sieben Fenster der Dorfkirche in Landsberg-Gütz vor. Es handelte sich um eigenständige Ergänzungen schadhafter Fenster, die aus dem frühen 20. Jahrhundert stammten und Porträts von Petrus, Paulus, Martin Luther sowie Melanchthon zeigten. Der Katholik Lüpertz schuf darüber hinaus zwei völlig neue Darstellungen auf den Seitenfenstern, die vom Kirchenvorstand als Themen Der Wiederaufbauer und Der Wegschauer vorgegeben waren. Am Reformationstag des Jahres 2013 weihte die Gemeinde die neuen Kirchenfenster festlich ein.

Lüpertz bezeichnete es in diesem Zusammenhang als einen der schönsten und beglückendsten Momente für einen Künstler, mit dem Licht zu malen. Die Kirche sei ein Ort, der die Kunst bewahre, denn Werke ließen sich nicht wie in einem Museum einfach abhängen. Seine Kirchenfenster versteht Lüpertz als zeitgenössische Kunst, aber sie seien in der Auseinandersetzung mit und in der Erfahrung von Tradition entstanden.

Ein Beitrag von Beatrix Schulte.
Source: Kirche-Oldenburg