„Hier geht es zu wie auf einem Rockkonzert!“ Diesen Eindruck eines Besuchers konnten auch andere Beobachter beim Anblick der bis weit vor das Kirchenportal reichenden Publikumsschlange gewinnen, die sich zur Premiere des Rock-Oratoriums „Luther! – Rebell wider Willen“ am Samstagabend, 21. Januar, in der Wilhelmshavener Christus- und Garnisonkirche einfanden. Es dauerte einige Zeit, bis endlich alle Zuschauerinnen und Zuschauer im Hauptschiff ihren Platz gefunden hatten.

Von einem Experiment und Wagnis sprach dann auch der Intendant der Landesbühne Niedersachsen Nord, Olaf Strieb, bei seiner Begrüßung und freute sich auf die bevorstehende Inszenierung an diesem eher ungewöhnlichen Spielort. In gespannter Erwartung war auch Pastor Frank Morgenstern, der die Idee sehr gut fand und die Aufführung dieses Stückes in einer Kirche sehr begrüßte. „Inhaltlich und akustisch ist dies eine Herausforderung“, merkte er an. „Mit Gottes Segen wünschen wir Ihnen wunderschöne 90 Minuten.“ Daraus wurden aber fast 120 Minuten.  

Diese theatralische Herausforderung wollten die rund 280 Besucherinnen und Besucher in der ausverkauften Christus- und Garnisonkirche ebenfalls annehmen und sie wurden nicht enttäuscht. Was sie sahen, war eine lebendige, sehr weltlich ausgerichtete und auf das Leben Luthers im Spannungsfeld seiner Glaubenskrisen bezogene fast schon revueartige Inszenierung, die temporeich, und ohne je Langeweile aufkommen zu lassen, von einem gut eingespielten Ensemble aufgeführt wurde.

Opulente Kostüme, stimmgewaltige Sängerinnen und Sänger, eine ausgefeilte Lichtführung, die Einbeziehung der ganzen Kirche in den Spielraum und teils sehr deftige Texte ganz im vermeintlich lutherischen Stil sorgten für einen unterhaltsamen und kurzweiligen Abend, der es verstand, historische Fakten und moderne Theaterwelten auf sympathische Weise miteinander zu verbinden.

„Ich fand es hinreißend und fantastisch. Und mich hat fasziniert, dass zwischendrin nicht geklatscht wurde“, sagte die Besucherin Justine Eickmeier aus Wilhelmshaven. Und Pastor Morgenstern sah das Ergebnis als „interessante Predigt“.   

Hoher technischer Aufwand und besondere spielerische Herausforderung
Eigens für die Aufführung in Kirchen, und hier vor allem erst einmal in den Kirchen im Nordwesten, war das Stück von Regisseurin Tatjana Rese und dem Musikalischen Leiter Erich A. Radke umgeschrieben und gekürzt worden. Die Urfassung, ein zweieinhalbstündiges Musical, wurde bereits 2013 in Eisenach uraufgeführt. Mit dem Umzug des Stückes von den weltlichen Bühnen in ein sakrales Umfeld ist dem Team aber durchaus eine sehenswerte Transmission gelungen, zumal es inhaltlich bestens in dieses Ambiente hineinpasst.

Die choralen Gesänge, die Wut-Arien, die getragenen Balladen, der Klang von Kirchenglocken – all das ist total authentisch und nachvollziehbar in einem Sakralbau. Ungewöhnlicher waren da schon das Zwiegespräch mit dem berühmten Maler und Freund Luthers, Lucas Cranach, die Teufelsbegegnungen, der süffisante Ablasseintreiber oder eine in rotes Licht getauchte Beischlafszene des frisch vermählten Luther im Altarraum, der kurz darauf ein ausschweifendes Festgelage folgt, bei dem Brot und Wein geteilt werden – eine Andeutung der von Luther veränderten Abendmahlshandlung.

Während große Teile des ursprünglichen Ensembles übernommen wurden, wurde eigens für die norddeutschen Kirchen ein Projektchor ins Leben gerufen, der sich überwiegend aus Sängerinnen und Sängern im Großraum Wilhelmshaven zusammensetzt. Das Zusammenspiel zwischen Altensemble, Chor und – nicht zu vergessen die live spielenden „Sechs Rebellen“ im Hintergrund – funktionierte bestens.

Leben und Wirken Luthers in Szene gesetzt
In szenischen Episoden blickte das Oratorium auf markante Lebensabschnitte des Reformators, seinen Bruch mit dem Elternhaus, sein Erweckungserlebnis durch ein Unwetter, seinen Eintritt ins Augustinerkloster, die Verfehlungen der katholischen Kirche mit ihren „Sonderangeboten“ für Sünder jeder Couleur, sein Pamphlet gegen den Papst, den Anschlag der 95 Thesen an der Wittenberger Schlosskirche, die Gerichtsverhandlung in Worms, seine Flucht auf die Wartburg, wo er als Junker Jörg die Bibel übersetzte, seine Predigt gegen das aufbegehrende Volk in Wittenberg, welches frei sein und der römischen Kurie entsagen will, seine Hochzeit mit der ehemaligen Nonne Katharina und schließlich sein Tod 1546 in Eisleben. Es sind wichtige Stationen, die das Leben Luthers vor 500 Jahren am Übergang von Mittelalter zur Renaissance für die Zuschauerinnen und Zuschauer erfahrbar machen. Sie sind auch geprägt von Leidenschaft, Frömmigkeit, Zweifel und Angst, typischen menschlichen Regungen also.

Schmunzeln überkommt einen beim Anblick der Liedtitel, wie etwa „Ein Furz ist keine Sünde!“ oder „Choral des Mammon“, in dem ein Vers des Teufelsgesanges lautet: „Mäuse im Arsch, juckender Seel. Schotter bring das Heil, macht mich so geil…“ Neben der vulgären Sprachwahl gibt es aber durchaus auch zentrale religiöse Aussagen Luthers wie etwa: „Nimm sich der Mensch nur selber wahr so wie er ist, ganz unverstellt und ohne fremde Leitung: So fühlt er ohne gift’ge Last. Gott lässt nicht mit sich handeln!!“ Auch Luthers Ausspruch „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gut Wehr und Waffen“ durchzieht das Stück wie ein roter Faden.

Und am Ende hat das letzte Wort Lucas Cranach, der dem toten Luther entgegenruft: „Wir sind lange noch nicht fertig mit dir!“ Das ist versöhnlich und zukunftsfähig, erst recht in heutiger krisengeschwängerter Zeit, und genauso so sahen es auch die Zuschauer. Ihr Dank an die Akteure auf der Bühne war nicht nur ein braver Applaus, es war ein zehnminütiger Begeisterungsausbruch, inklusive Standing Ovations und Fußgetrampel in den hölzernen Sitzbänken. Beifallsrufe begleiteten das Klatschen und auch die Schauspielerinnen und Schauspieler sowie Sängerinnen und Sänger waren gerührt von der sehr positiven Resonanz des Publikums.

Als Zugabe gab es noch einmal ein Lied, in dem es hieß „Martin Luther, wir sind noch lange nicht fertig!“

Weitere Termine in der Christus- und Garnisonkirche in Wilhelmshaven:
Die Aufführung am 4. Februar ist bereits ausverkauft.

Karten gibt es noch für:
Mi, 15.02.2017 / 20:00 Uhr
Mo, 27.02.2017 / 20:00 Uhr
So, 05.03.2017 / 15:30 Uhr
Fr, 10.03.2017 / 20:00 Uhr
Di, 28.03.2017 / 20:00 Uhr

Weitere Termine im Spielgebiet:
Di, 31.01.2017 / 18:00 Uhr / Papenburg, Nikolaikirche
Fr, 03.02.2017 / 19:30 Uhr / Weener, Erlöserkirche
Mi, 08.02.2017 / 19:30 Uhr / Leer, Lutherkirche
Mi, 22.02.2017 / 19:30 Uhr / Aurich, Lambertikirche
Fr, 24.02.2017 / 20:00 Uhr / Quakenbrück, St. Sylvesterkirche
Di, 28.02.2017 / 19:30 Uhr / Esens, St. Magnus-Kirche
Do, 02.03.2017 / 20:00 Uhr / Wittmund, St. Nikolai-Kirche
Fr, 03.03.2017 / 20:00 Uhr / Jever, Stadtkirche am Kirchplatz
Do, 30.03.2017 / 20:00 Uhr / Emden, Neue Kirche
Sa, 01.04.2017 / 18:00 Uhr / Papenburg, Erlöserkirche
Fr, 07.04.2017 / 19:30 Uhr / Norderney, Ev. Inselkirche

Ein Beitrag von Beatrix Schulte.

Source: Kirche-Oldenburg