Braunschweig/Göttingen (epd). Die Göttinger Medizinethikerin Claudia Wiesemann hat sich angesichts der Entlassung des Braunschweiger Domkantors dafür ausgesprochen, «die Skandalisierung, ja Verteufelung der Leihmutterschaft zu beenden». Solange die Rechte der Leihmütter gesichert seien, sehe sie kein fundamentales ethisches Problem, sagte die Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen der «Braunschweiger Zeitung» (Samstag).
«Behauptungen, die Würde der Frau würde verletzt, oder das Kind würde ‘verkauft’ – solche grundsätzlichen Urteile treffen in ihrer Rigorosität nicht zu.» In einigen Länder, wie etwa Großbritannien sei die Situation zufriedenstellend geregelt. Studien zeigten, dass die Kinder psychisch gesund seien, sagte Wiesemann. «Dass Leihmutterschaft radikal gegen die Menschenwürde verstößt, ist jedenfalls keine seriöse Sichtweise mehr.»
Die braunschweigische Landeskirche hatte in dieser Woche dem langjährigen Domkantor Gerd-Peter Münden (56) gekündigt, weil er mit seinem aus Kolumbien stammenden Ehemann eine Leihmutterschaft in dem südamerikanischen Land beauftragen wollte. Nach Überzeugung des Domstiftungsvorstandes steht dies im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der evangelischen Kirche. Das gelte insbesondere dann, wenn die Leihmutter bezahlt werde.
Wiesemann räumte ein, dass ökonomische Interessen eine Rolle spielten und dass in einigen Ländern Leihmütter ausgebeutet würden. «Das heißt aber nicht, dass Leihmutterschaft grundsätzlich abzulehnen ist.» Leihmütter müssten für ihren Aufwand entschädigt, die vermittelnden Agenturen bezahlt werden. «Aber auch andere fortpflanzungsmedizinische Leistungen kosten Geld. Die Frage ist: Wann überschreitet man die Grenze von einem normalen Geschäfts- zu einem Ausbeutungsverhältnis?», unterstrich die Expertin.
In aller Regel sähen Leihmütter in ihrer Schwangerschaft «eine positive Tat, eine Gabe für ein Paar, das sich verzweifelt ein Kind wünscht», sagte Wiesemann. Sie wolle damit nicht verharmlosen, dass mit der Abgabe des Kindes Konflikte verbunden sein könnten. Studien widerlegten aber die Annahme, dass alle Leihmütter im Nachhinein bedauerten, das Kind abgegeben zu haben.
Die Ethikerin bedauerte, dass die Leihmutterschaft in Deutschland verboten sei. Dadurch würden Paare gezwungen, ins Ausland zu gehen. Sie mahnte den Gesetzgeber, sich «dem Thema Leihmutterschaft zu nähern – sachlich und ohne Pauschalisierungen». Es gehe dabei auch um die Gleichstellung schwuler Paare. Sie hätten genauso das Recht, mit ihrem Wunsch nach Elternschaft ernst genommen zu werden wie heterosexuelle oder lesbische Paare.
Kirche-Oldenburg
Medizinethikerin: Skandalisierung der Leihmutterschaft beenden