Solange noch nicht alle Kinder und Jugendlichen Vollzeit zur Schule gehen können, müssen sie auch zu Hause lernen. Nicht alle haben die nötige Technik und Betreuung dafür. In Lüneburg bekommen sie Hilfe in einem Projekt, das landesweit Schule macht.

Lüneburg (epd). Mit Deutsch ist Mohammed schon fertig, jetzt ist Mathe dran. «Nachher bekomme ich dafür eine Eule», sagt der Zehnjährige und zeigt auf die kleinen Aufkleber neben seinem Schulheft. Für jedes Häkchen hinter einer Aufgabe gibt es eine. Der Zweitklässler kommt morgens ins Haus der Lüneburger evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde. Ehrenamtliche lernen dort mit Kindern aus benachteiligten Familien, die noch immer nicht an jedem Tag Vollzeit in die Schule können. Das Lüneburger Modell ist eines der ersten seiner Art in Niedersachsen, andere Gemeinden wollen nun nachziehen.

Die Initiative ist ein echtes Produkt der Corona-Krise: Wegen der Pandemie musste die «Kindertafel» der Paul-Gerhardt-Gemeinde im März gleichzeitig mit den Schulen schließen. Kinder aus bedürftigen Familien hatten nun keine Anlaufstelle mehr.

Auf der anderen Seite gab es in diesen Familien Schwierigkeiten mit dem Homeschooling. «Viele dieser Kinder haben zu Hause weder den Ort noch die Betreuung noch die Technik, um Hausaufgaben auf Dauer zu Hause zu leisten», sagt Oberkirchenrat Marc Wischnowsky, der das Projekt für die hannoversche Landeskirche betreut. «Auch der Sprung in die Digitalisierung ist nicht für alle Schülerinnen und Schüler machbar.»

Was also tun? Mitarbeiter der Gemeinde überlegten hin und her und entwickelten schließlich den «Lernraum»: ein kostenloses Angebot der Hausaufgabenhilfe mit ehrenamtlicher Begleitung in kirchlichen Räumen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie. In Absprache mit den benachbarten Grundschulen, der Stadt und der hannoverschen Landeskirche ging das Projekt Anfang Mai an den Start. Es soll so lange angeboten werden wie nötig – natürlich unter den geltenden Hygiene- und Abstandsregeln.

Und es macht Schule. Auch andernorts wollen das Land Niedersachsen und die Kirchen benachteiligten Schülerinnen und Schülern zur Seite stehen. Dafür sollen auch dort evangelische und katholische Gemeindehäuser zu «Lernräumen» werden, sagte Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) am Montag in Hannover. Dafür hat das Land zunächst rund eine Million Euro eingeplant. Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers will rund 250.000 Euro zur Verfügung stellen, zudem wollen sich andere Landeskirchen und Bistümer beteiligen. Einzelne Projekte und Initiativen gibt es neben in Lüneburg bereits in Bückeburg, Stadthagen, Bremerhaven, Tostedt oder Eystrup.

Hände waschen, Maske aussuchen und das Namensschild an den Pullover klemmen: Damit beginnt jeder Besuch eines Kindes im Lüneburger Lernraum. Es gibt acht Räume für jeweils ein Grundschulkind mit Lernpatin oder Lernpate. Für ältere Geschwisterkinder gibt es zwei Computer-Arbeitsplätze mit Internetanschluss und Drucker. Inzwischen kommen die Kinder je nach Stundenplan der Schule zu unterschiedlichen Zeiten für je eine Stunde ins Gemeindehaus. Sie nehmen von dort jedes Mal eine handbemalte Tüte mit nach Hause: mit einem kleinen Picknick, etwas zum Malen oder Basteln und natürlich auch zum Lernen.

Diakonin Antje Stoffregen hat den Lernraum gemeinsam mit der Mentorin Barbara Hanusa von der Landeskirche entwickelt. «Uns war schnell klar, dass es für eine solche Unterstützung einen großen Bedarf gibt», sagt Stoffregen. Sie leitet die Kindertafel der Gemeinde, in die Mädchen und Jungen aus den beiden benachbarten Grundschulen normalerweise nach der letzten Stunde kommen, gemeinsam Mittag essen und anschließend Hausaufgaben machen. Sie freut sich, dass sich in der Corona-Krise das neue Projekt entwickelt hat: «Die Kinder lieben die Eins-zu-eins-Betreuung, und die Erwachsenen sind froh, dass sie unter Menschen kommen und etwas Sinnvolles tun.»

Barbara Hanusa arbeitet als Mentorin an der Lüneburger Leuphana Universität und hat zahlreiche Studierende aus dem Bereich Lehramt als ehrenamtliche Lernpatinnen und Lernpaten gewonnen. «Für die Studierenden ist dies ein Praxisfeld», sagt die Pastorin und Pädagogin. «Und für die Kinder ist es elementar. Denn diese Kinder verlieren wir sonst. Sie haben zu Hause keine Chance, beim Lernen weiterzukommen, wenn keine Schule stattfindet.»

Auch der hannoversche Landesbischof Ralf Meister unterstreicht, eines der Ziele sei, Schulstoff nachzuholen, der in den vergangenen Wochen gar nicht oder nur teilweise vermittelt worden sei. «Aber mindestens ebenso wichtig ist es, dass Kinder spielen können, sich mit anderen austauschen und dass Menschen da sind, die Zeit haben, ihnen zuzuhören.»

Source: Kirche-Oldenburg