Hannover/Bremen/Gütersloh (epd). Vor dem Hintergrund einer Bertelsmann-Studie zur Kinderarmut fordern Sozialverbände in Niedersachsen und Bremen mehr Verteilungsgerechtigkeit und eine Grundsicherung für Kinder. Laut der am Montag in Gütersloh vorgestellten Studie bleiben Kinder in armen Familien oft über längere Zeit benachteiligt. Zwei von drei von Armut betroffenen Kinder leben dauerhaft oder wiederkehrend in Armut. Besonders armutsgefährdet seien Kinder alleinerziehender Eltern, mit mindestens zwei Geschwistern oder mit geringqualifizierten Eltern.

Der niedersächsische Diakonie-Vorstandssprecher Christoph Künkel warnte angesichts der Daten vor einer «vererbten Armut» und einer «wachsenden Gefahr für den sozialen Frieden». Schon seit langem beobachte die Diakonie, dass sich Armut bei vielen Familien über Jahre hinweg verfestige, sagte Künkel in Hannover. «Es ist dringend geboten, dass wir auch wieder über eine Verteilungsgerechtigkeit in unserem Land reden», mahnte er an. Die stetig größer werdende Schere zwischen Reichtum und Armut bedrohe den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Ein Beleg dafür sei das Erstarken von rechtsextremen Parteien.

Der Bremer Landesdiakoniepastor Manfred Meyer forderte eine Kindergrundsicherung. Damit könnten die Teilhabechancen benachteiligter Kinder verbessert werden, sagte Meyer dem epd. Das Land Bremen ist besonders von Kinderarmut betroffen. Der kirchliche Sozialexperte Meyer sagte, um etwas gegen die Armut der Kinder zu unternehmen, müsse auch etwas gegen die Armut der Eltern unternommen werden. Von einer Kindergrundsicherung könnten insbesondere gefährdete Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern profitieren.

Auch die niedersächsische Landesarmutskonferenz macht sich für eine Kindergrundsicherung stark. Sie forderte zudem die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Sprecher Martin Fischer beklagte, dass insbesondere Kinder unter der mangelnden Gerechtigkeit leiden müssten. «Diese Erfahrung des Ausgeschlossenseins prägt diese Kinder von klein an und sorgt dafür, dass es schwer wird, aus der Armutsspirale herauszukommen.»

Als arm gelten Familien, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens haben oder staatliche Grundsicherung erhalten. Nach Angaben des Landesamtes für Statistik Niedersachsen vom August hat sich in Niedersachsen die Armutsgefährdungsquote im vergangenen Jahr von 15,9 auf 16 Prozent erhöht. Im bundesweiten Mittel lag sie unverändert bei 15,7 Prozent. In Bremen gilt jeder Dritte unter 18 Jahren als arm oder armutsgefährdet.

Für die Bertelmann Studie wurde auch nach Gütern und Möglichkeiten der sozialen Teilhabe gefragt. Zu den 23 aufgelisteten Punkten gehören beispielsweise eine genügend große Wohnung, eine Waschmaschine, ein internetfähiger Computer sowie Kinobesuche oder die Möglichkeit, Freunde zum Essen nach Hause einzuladen. Kinder, die dauerhaft in armen Verhältnissen leben, mussten auf durchschnittlich mehr als sieben Prozent der abgefragten Güter verzichten. Kindern in zeitlich begrenzter Armut fehlten 3,4 Prozent der Möglichkeiten. Kinder aus Familien mit sicherem Einkommen müssen lediglich auf 1,3 Prozent der Güter aus finanziellen Gründen verzichten.

Armut bedeute in Deutschland zwar nicht, kein Dach über dem Kopf oder kein Essen zu haben, erklärten die Autoren der Studie. Die lebensnotwendige Grundversorgung sei gesichert. Armut bedeute aber, auf vieles verzichten zu müssen, was für andere ganz normal zum Aufwachsen und Leben dazu gehöre. Für die Studie haben die Forscher über einen Zeitraum von fünf Jahren die Einkommenssituation von Familien untersucht. Zu fast 3.200 Kindern wurden Informationen ausgewertet.
Source: Kirche-Oldenburg