Bremen (epd). Der Nordwesten Deutschlands ist nach Auffassung von Religionswissenschaftlern der Universität Bremen in der Reformation einen Schritt weiter gegangen als die durch Martin Luther (1483-1546) von Wittenberg aus geprägte Bewegung. "Das war alles radikaler, konsequenter, geprägt durch Johannes Calvin", sagte Jan van de Kamp. Vom 8. bis 10. Februar wollen Experten aus den Niederlanden, Schottland und Deutschland bei einer Tagung in Bremen untersuchen, wie dieser Sonderweg verlaufen ist und was er für die Gegenwart bedeutet. "Das ist kaum erforscht", sagte van de Kamp.
Neben Luther gehört der Humanist, Jurist und Theologe Johannes Calvin (1509-1564) zu den herausragenden Figuren der Reformation. Auf ihn berufen sich heute weltweit mehr als 80 Millionen reformierte Christen. Van de Kamp spricht im Zusammenhang mit Calvin von der "zweiten Reformation", die den Nordwesten und mit ihm Bremen erfasste. Die ersten reformatorischen Prediger seien nicht aus dem Wittenberger Raum gekommen, sondern aus dem Westen. So reiste 1522 Heinrich von Zütphen (1488-1524) aus Antwerpen nach Bremen, um in der Hansestadt die erste evangelische Predigt zu halten.
Bremen suchte politisch wie kirchlich die Koalition mit Ländern wie den Niederlanden, England und Frankreich. Das hatte auch ganz praktische Folgen: Gemeinden, die sich auf den asketischen und sittenstrengen Calvin beriefen, verbannten nach den Worten van de Kamps Bilder und Kruzifixe aus ihren Kirchen. Das biblische Gebot "Du sollst dir kein Bildnis machen" sei dort sehr ernst genommen worden, verdeutlichte der Religionswissenschaftler. "Luther war da nicht so radikal."
Calvin betonte auch die Mitarbeit von Laien am kirchlichen Leben. In Bremen zeige sich das bis in die Gegenwart an einem hohen Maß bürgerschaftlichen Engagements, betonte van de Kamp.
Doch während die calvinistische Reformation weiter westlich deutlich spürbar war, hielt Bremen nach den Worten des Experten einen theologisch gemäßigteren Kurs. "Die Stadt war eine reformierte Insel im lutherischen Umfeld und aufgrund ihres Handels auf gute Beziehungen zu ihren Nachbarn angewiesen." Was allerdings für den Nordwesten gut war, bedeutete im Verhältnis zu den streng calvinistischen Niederlanden Probleme: "Das hat zu Spannungen geführt."
Im Zusammenhang mit der Reformation habe sich Bremen überdies zu einem Rückzugsort für Glaubensflüchtlinge entwickelt, ergänzte van de Kamp: "Viele Menschen in Europa mussten aufgrund ihres evangelischen Glaubens aus ihrer Heimat fliehen. Wir wollen während der Tagung auch diskutieren, inwiefern diese Geschichte bis heute die offene Einstellung Bremens zu Flüchtlingen prägt." Das lateinische "Hospitium Ecclesiae" (Herberge der Kirche) jedenfalls sei damals zum Ehrentitel der Stadt geworden und habe ihr Selbstbewusstsein gestärkt.
Source: Kirche-Oldenburg