Dr. Christine Lehmann und Martin Schmidt-Kortenbusch machen vor, was sie zur Nachahmung empfehlen: über den eigenen Tellerrand hinweg in den Dialog gehen und die Haltung Andersdenkender nicht bewerten. Während der Oldenburger Schulrätekonferenz im Ahlhorner Blockhaus plädierten die beiden Fachmoderatoren gemeinsam für einen „dialogorientierten Religionsunterricht“ auf Grundlage „kontrastierender Grunderfahrungen“.
  
Sie: evangelisch; er: katholisch; beide in kontinuierlichem Austausch. Im besten Sinne gemeinschaftlich haben sie ein Handbuch, Arbeitsmaterialien und didaktische Werkzeuge für den Unterricht erarbeitet.
  
Jetzt stellten sie ihre Ideen für eine neue Systematik des Religionsunterrichts zur Diskussion. Ziel sei eine konsequente Schülerorientierung. Die theologisch ausgerichtete Systematik, wie sie sich derzeit in Lehrplänen, Schulbüchern und -materialien wiederfinde, werde den zunehmend durchmischten Lerngruppen nicht gerecht. In den Klassen kommen nicht nur unterschiedliche Religionen und Konfessionen zusammen, sondern vielfach glaubensdistanzierte, agnostische, konfessionslose und atheistische Schülerinnen und Schüler. „Vielfalt pur“, bringt es Dr. Christine Lehmann auf den Punkt. Vielen Kindern und Jugendlichen erscheine die biblische Lehre nicht plausibel, gemessen an Wissenschaft und an eigenen Erfahrungen in der Welt. Andere bringen Religion mit Gewalt und Fanatismus in Verbindung und trauen ihr nicht. Und: Unkenntnis und Vorurteile bestimmen die Haltung gegenüber Kirche.
  
Aufgabe von Religionsunterricht sei deshalb, eine „Dialogorientierung zu entwickeln und zu entfalten“, und zwar „durchgängig“ – in Inhalten, Methoden und Beziehungen, so Dr. Christine Lehmann. Religionsunterricht müsse entscheidend zur Dialogfähigkeit beitragen, indem er konsequent theologische Fragen hinter der existenziellen Betroffenheit der Schüler zurückstellt.
  
Säkulare Weltanschauungen müssten Teil der Ökumene werden. Es könne nicht vorausgesetzt werden, dass Schüler an Gott glauben. Zugang schaffen aber „Fragen, die Menschen zu allen Zeiten bewegt haben und bewegen“, sagt Martin Schmidt-Kortenbusch. Folglich brauche Religionsunterricht eine Didaktik entlang „kontrastierender Grunderfahrungen“, also elementarer Erfahrungen, die das Menschsein ausmachen. Konkret benannten die Referenten zehn Grunderfahrungen, die oft als gegensätzlich empfunden werden wie Glück und Leid, Gemeinschaft und Alleinsein/Einsamkeit, Liebe und Hass, Gelingen und Schuld/Scheitern, Anpassung und Widerstand. Diese Paare sollten als „Erfahrungsräume mit Schattierungen“, nicht als Schwarz-Weiß-Bilder diskutiert werden. Dies mache es möglich, dass Schüler auch untereinander ins Gespräch kommen.   In derselben Weise verbinden „kontrastierende Grunderfahrungen“ die Fächer „Religion“ und „Werte und Normen“ und werden zu „Suchprogrammen, mit denen das Leben neu entdeckt werden kann“.
  
Keineswegs führe dies weg von biblischen Inhalten und theologischen Zusammenhängen, im Gegenteil: Sie können Antworten auf tiefe, existenzielle Fragen geben. Gleichzeitig gelte: „Die Entscheidung, ob dies im Leben eines Schülers Geltung erlangen soll oder nicht, liegt außerhalb der Bildungsziele schulischen Religionsunterrichts.“ Die Haltung des Einzelnen sei nicht zu bewerten.
  
Lehmann und Schmidt-Kortenbusch sprachen damit für eine „Korrelationsdidaktik“ aus – der Korrelation zwischen Grunderfahrungen und theologischen Deutungen. „Wenn die SchülerInnen sich als ‘berührt‘ erfahren, werden sie ihre Kenntnisse und Kompetenzen erweitern“. Dann werden biblische Grundmotive wie Schöpfung, Hoffnung, Exodus/Befreiung, Gerechtigkeit zu echten Fragen. Lehmann: „Gemeinsame Grundüberzeugungen machen es möglich, sich fair zu streiten und plurale Deutungen zuzulassen“. So führe Religionsunterricht dazu, die Wahrnehmung von „Wirklichkeit“ zu hinterfragen, den Schein der Alltagsrealität zu durchkreuzen und existenziell zu irritieren.
  
Durch die Art der Fragestellung könne sich Religionsunterricht gegenüber dem Fach „Werte und Normen“ profilieren. Beide Fächer ergänzten einander, wenn die Schüler befähigt werden, „sich gegenseitig zu befragen“. Daher sei es an der Zeit, bereits auf universitärer Ebene Dialogkompetenz einzuüben und so eine befruchtende Beziehung zwischen beiden Fächern herzustellen und die „dritte Ökumene“ mit säkularen Weltanschauungen auf den Weg zu bringen.
   
Die einmal im Jahr tagende Schulrätekonferenz dient dem Austausch zwischen den Instituten für evangelische bzw. katholische Theologie und Religionspädagogik an den Universitäten Vechta und Oldenburg, den Fachberaterinnen und -beratern für evangelischen und katholischen Religionsunterricht, den Fachseminarleitungen, der Niedersächsischen Landesschulbehörde mit ihren Regierungsschuldirektoren, den Kirchenleitungen des Bischöflich Münsterschen Offizialats in Vechta und der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg sowie der Arbeitsstelle für Religionspädagogik. Diese Form der Zusammenarbeit sei bundesweit einzigartig, erläuterte Hochartz.
  
Im Konferenzteil ging es u.a. um erste Eindrücke vom Projekt „Werte und Normen-Unterricht“ an neun niedersächsischen Grundschulen, das in diesem Schuljahr gestartet ist, um Informationen von Seiten der Landesschulbehörde zum Stand des Islamunterrichts und um das neue Vokationsgesetz (siehe Pressemeldung unten).

  
Laelia Kaderas


Pressemitteilung:

Evangelische Religion soll nicht mehr fachfremd unterrichtet werden

Schulrätekonferenz informiert sich über das neue Vokationsgesetz: Stärkere Fachkompetenz für den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen

„Evangelische Religion“ an öffentlichen Schulen sollen ab sofort nur noch Lehrerinnen und Lehrer unterrichten, die eine „abgeschlossene staatliche Ausbildung zum Lehramt mit Lehrbefähigung für das Fach evangelische Religion“ oder eine entsprechende Weiterbildung nachweisen können. Diese muss von den beteiligten Kirchen anerkannt sein. „Wir sind an einer hohen Kompetenz der Unterrichtenden interessiert“, erklärte Oberkirchenrat Detlef Mucks-Büker gestern während der Oldenburger Schulrätekonferenz im Blockhaus Ahlhorn. Lehrkräfte, die fachfremd evangelischen Religionsunterricht erteilen, erhalten allenfalls eine befristete Unterrichtsbestätigung von höchstens drei Jahren. In der gymnasialen Oberstufe darf nicht mehr fachfremd unterrichtet werden. .
  
Dies gilt seit 1. Februar 2018. Damit haben die evangelischen Kirchen der Konföderation in Niedersachsen ihre Vokationsgesetze überarbeitet, die die Mitwirkung der evangelischen Kirchen am staatlichen Religionsunterricht regeln. Erteilte Vokationen bleiben weiterhin gültig, so Linda Riechers, Referentin für Vokation bei der Konföderation.
  
Den Hintergrund bildet u.a. die Einführung des Fachs „Werte und Normen“. Das Fach wird ausdrücklich nicht als Gegenspieler von Religionsunterricht verstanden, wohl aber als ergänzendes Element, wie während der Schulrätekonferenz deutlich wurde. Umso stärker müsse die christliche Lehre im evangelischen Religionsunterricht verankert sein, finden die evangelischen Kirchen. Eine entscheidende Rolle spiele hierbei die Kompetenz der Lehrerinnen und Lehrer.
  
Seit 2006  gibt es die – gleichlautenden – Vokationsgesetze in Niedersachsen. Sie bestätigen die Befähigung von Religionslehrern, im Sinne der evangelischen Kirchen Unterricht zu erteilen. Die gemeinsame Verantwortung von Kirche und Staat für das Lehrfach ist im Grundgesetz verankert. Aufgabe von Kirche ist es danach, Inhalte zu gestalten und die Lehrenden kontinuierlich fortzubilden und zu beraten.
  
Für eine Vokation ist die Teilnahme an einer dreitägigen Vokationstagung verpflichtend. „Keine Prüfung, keine Kontrolle“, betont Pfarrerin Kerstin Hochartz, Leiterin der Arbeitsstelle für Religionspädagogik der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg. Stattdessen: „relevante Themen, hochwertige Referenten“ – und am Ende die feierliche Übergabe der Vokationsurkunde im Rahmes eines Einführungsgottesdienstes.
Source: Kirche-Oldenburg