Bremen (epd). Piraterie ist nach Aussagen der Deutschen Seemannsmission nach wie vor eine massive Bedrohung für die Handelsschifffahrt und die Seeleute. "Auch wenn die Zahlen zurückgegangen sind – in unsere Stationen kommen immer wieder Seeleute, um über traumatische Erfahrungen mit Überfällen auf See zu reden", sagte die Generalsekretärin der in Bremen ansässigen Organisation, Heike Proske. Das passiere beispielsweise in Durban, Hongkong, Singapur, Lomé in Togo oder Duala in Kamerun. "Und immer erzählen die Betroffenen von großer Hilflosigkeit."

Zwar sind die Überfälle nach dem jüngsten Piraterie-Bericht des Internationalen Schifffahrtsbüros IMB auf den niedrigsten Stand seit 1995 gesunken. "Trotzdem gab es in der ersten Hälfte des laufenden Jahres 98 Zwischenfälle", sagte Proske. "Piraten sind auf 72 Schiffen an Bord gekommen, haben fünf in ihre Gewalt gebracht und 64 Seeleute als Geiseln gekommen." Anders als etwa bei Flugzeugentführungen werde über diese Zwischenfälle kaum berichtet.

"Dabei ist die Situation für die Seeleute besonders dramatisch, weil zugleich ihr Arbeitsplatz und ihr Wohnraum angegriffen wird – einen Platz, um sich zurückzuziehen und Abstand zu gewinnen, haben sie nach den Überfällen nicht." Viele Betroffene nutzten dann zumindest bei Landgängen und bei Besuchen in den Clubs der Seemannsmission die Gelegenheit, um sich ihre Belastungen von der Seele zu reden.

Oftmals überfallen schwer bewaffnete, organisierte Banden Schiffe auf See und vor Anker, greifen die Besatzung an, rauben Schiffsladungen oder bringen ganze Frachter in ihre Gewalt, um sie weiterzuverkaufen oder Lösegeld-Forderungen zu stellen. Zwar sei die Situation vor der Küste Somalias durch die Anti-Piraten-Mission "Atalanta" der EU ruhiger geworden, sagte Proske. Doch die Situation ähnele einem Schwelbrand, da Somalia ein fragiler Staat bleibe und die Gefahr von Angriffen damit weiterhin hoch sei: "Das kann jederzeit wieder aufflammen, wenn sich die EU zurückziehen würde."

Die Westküste Afrikas zähle nach wie vor zu den Hochrisiko-Gebieten. Dort werden Proske zufolge unter anderem Lösegelder für die islamistische Terrorgruppe "Boko Haram" in Nigeria erpresst. Auch im südostasiatischen Raum gebe es weiterhin viele Überfälle. Positiv sei dort in der Straße von Malakka der Zusammenschluss von Anrainerstaaten zu einer gemeinsamen Küstenwache: "Das müsste auch im westafrikanischen Golf von Guinea passieren."

Viel Lob hat Proske für deutsche Reeder. Sie schulten ihre Offiziere, um im Ernstfall einer Panik an Bord begegnen und Opfern helfen zu können. Erfolgreich sei neben dem Einsatz der Marine auch der Einsatz staatlich zertifizierter privater und bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord der Schiffe. Doch dieser Schutz werde beispielsweise vor Westafrika von den Anrainerstaaten nicht zugelassen.

Das Stichwort: Deutsche Seemannsmission

Die Deutsche Seemannsmission mit ihrer internationalen Zentrale in Bremen gehört zu den ältesten Arbeitszweigen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seit mehr als 125 Jahren leistet die Organisation auf Schiffen, in Seemannsclubs und in Seemannsheimen auf mehreren Kontinenten Seelsorge und Sozialarbeit an Seeleuten aus aller Welt. Die Arbeit geschieht unabhängig von Herkunft und Religion der Schiffsbesatzungen.

International legt das Hilfswerk seit einiger Zeit besonderes Gewicht auf die psychosoziale Unterstützung von Piratenopfern und Hilfen für Seeleute in der Flüchtlingskrise. An der Nord- und Ostsee leistet die Organisation in Zusammenarbeit mit dem Havarie-Kommando in Cuxhaven Notfallseelsorge. Die Arbeit wird aus Kirchensteuern, öffentlichen Mitteln, Spenden und freiwilligen Schiffsabgaben der Reeder finanziert.

Ihre Wurzeln hat sie im diakonischen "Komitee für kirchliche Versorgung im Ausland", das am 29. September 1886 gegründet wurde. Heute wollen die etwa 800 Haupt- und Ehrenamtlichen rund um den Globus mit Freizeitangeboten außerhalb der Bordroutine der Vereinsamung und Entfremdung in den zunehmend multinationalen Besatzungen entgegenwirken. Sie arbeiten eng mit anderen christlichen Seemannsmissionen und Organisationen wie der Internationalen Transportarbeiter-Gewerkschaft ITF zusammen.

Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, die Lebens- und Arbeitsverhältnisse an Bord zu verbessern. Dafür unterhält die Deutsche Seemannsmission im Ausland ein Netz von 16 Stationen, beispielsweise in Lomé, Valparaiso und Singapur. In Deutschland gibt es ebenfalls 16 Standorte, die von eigenständigen Inlandsvereinen getragen werden. Unter ihnen sind Bremen, Hamburg, Rostock, Brunsbüttel, Bremerhaven, Cuxhaven und Emden. Auch in Duisburg, dem größten Binnenhafen Europas, ist die Seemannsmission tätig.

Seemannsmission in der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg: http://www.kirche-oldenburg.de/themen/seelsorge-beratung/seemannsmission.html
Source: Kirche-Oldenburg