Der Anwalt und RTL-Moderator ("Staatsanwalt Posch ermittelt") glaubt, dass Martin Luther uns heute den Wert der Freiheit ganz neu nahebringen würde. Für diese Überzeugung hätte Posch ihn auch auf dem Reichstag zu Worms verteidigt.

Herr Posch, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern Sie mit?

Vor 500 Jahren hat Martin Luther eine Lawine losgetreten, indem er die Kirche seiner Zeit hinterfragt hat. Das hat zu dramatischen gesellschaftlichen Umbrüchen geführt. So riesengroße Sprünge sind heute nicht mehr nötig. Aber es bleibt wichtig, dass wir die Welt hinterfragen! Wie oft wird uns erklärt: „So war das schon immer, so müssen wir das lassen, daran darf sich nichts ändern!“ Das ist nicht gut. Wenn man im Kleinen nicht anfängt mit dem Hinterfragen, dann werden die Probleme regelmäßig wesentlich größer. Wenn ich Nachrichten sehe, denke ich oft: An dieser Stelle würde Reformation gut tun! Dann würde ich den Menschen am liebsten das Brett vorm Kopf wegnehmen, ihnen sagen: Lasst euch doch nicht immer das vorsetzen, was euch die da oben, rechts oder links einflüstern, sondern traut euch, selber zu denken! So wie Luther das getan hat.


Sie setzen sich vor der Kamera und vor Gericht für Menschen ein. Steckt da ein Luther in Ihnen?

Soweit würde ich nicht gehen. Aber ich mag es, mich zu reiben, Dinge zu hinterfragen und für Überzeugungen zu kämpfen. Das gehört zu meiner Arbeit als Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Ich kann aber auch andere Meinungen stehen lassen – und lasse mich gern überzeugen. So wie ich es schätze, wenn Menschen sich selbst hinterfragen. Als Strafverteidiger erlebe ich stattdessen oft, wie mit dem Finger auf andere gezeigt wird. Vor Gericht würde es dem einen oder anderen manchmal guttun, sich selbst zu hinterfragen: Kann mir das auch passieren? Wenn ja, wie würde ich dann reagieren? Wie würde ich erwarten, dass mit mir umgegangen wird? Dann würden wir oftmals gnädiger zueinander sein, würden einander eher vergeben.


Vielen Menschen fällt es schwer, sich zu hinterfragen.

Das ist auch nicht leicht. Aber auch das ist für mich Reformation. Ich frage mich oft: Mache ich das richtig, was ich da gerade tue? Bin ich jetzt gerade fair mit jemandem umgegangen? Ich finde es gut, wenn Menschen erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren, sich selber überprüfen, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigen.


Auch Martin Luther stand vor Gericht: Beim Reichstag zu Worms war er des Hochverrats angeklagt. Hätte es Sie gereizt, ihn zu verteidigen?

Aber klar! Das ist doch das Salz in der Suppe jedes Verteidigers, diejenigen zu verteidigen, mit denen man sich identifizieren kann, an deren Seite man sich stellen möchte. Aber das ist nicht die Regel. Ich werde oft gefragt, wie ich jemanden verteidigen kann, von dem ich weiß, dass er etwas Verbotenes getan hat. Ich antworte mit einer Gegenfrage: Stell dir vor, dir passiert etwas. Wärst du dann nicht froh, die Nummer von jemandem zu haben, der dir bedingungslos zuhört und der nur dafür zuständig ist, dass deine Rechte gewahrt bleiben? Jeder Mensch hat das Recht auf eine optimale Verteidigung. Deshalb bin ich Anwalt geworden.

Nehmen wir an, Luther würde heute eine Sendung bei RTL machen. Welche wäre das?

Luther müsste seine Talente in einer One-Man-Show ausspielen. Er könnte die Menschen im übertragenen Sinne aufklären. Wie viele Menschen gibt es heute, die Dinge unhinterfragt übernehmen? Wir haben neue Parteien, die versuchen, den Menschen Flöhe ins Ohr zu setzen und immer nach den einfachen Lösungen suchen. Wir haben so viele Verschwörungstheoretiker … Luther wäre eine glaubhafte, weil unabhängige Instanz, die dem aus tiefster Überzeugung entgegenwirkt. Er würde wohl auch versuchen, uns den Wert der Freiheit nahezubringen.

Haben wir den aus den Augen verloren?           

Ich fürchte ja. Wir kennen es in Deutschland nicht anders, als frei zu sein. Wir sind – anders als Luther damals und viele andere Menschen heute – unter keinem Regime aufgewachsen, das uns verbietet zu sagen, was wir wollen, und zu glauben, woran wir wollen. Wir müssen heute aufpassen, dass diese Freiheiten aus Angst vor Überfremdung nicht eingeschränkt werden. Freiheit ist das höchste Gut. Für unsere Freiheit heute sind Kriege geführt worden und Menschen gestorben. Für Freiheit lohnt es sich auch heute einzutreten. Auch daran erinnert die Reformation.

Ein Interview des evangelischen Magazins chrismon.
  
Source: Kirche-Oldenburg