Göttingen (epd). Der Göttinger Sozialwissenschaftler Berthold Vogel beobachtet eine zunehmende Bereitschaft zu Aggressivität, Hass und rohen Umgangsformen in Deutschland als Folge von Kriegen und Krisen sowie der Corona-Pandemie. «Das gesellschaftliche Klima ist anstrengend geworden», sagte Vogel im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Und dabei schwinden bei Einzelnen auch die Umgangsformen.» Die Rüpel seien aber klar in der Minderheit, betonte der Sozialforscher. Es gebe nach wie vor eine Mehrheit von Menschen, die sich für ein solidarisches Miteinander einsetzten. Es sei gut, sich an Weihnachten daran zu erinnern.

 

«Wir spüren den Stress aus Pandemie, Krieg und Krisen», erläuterte Vogel, Leiter des Soziologischen Forschungsinstituts Göttingen. Vor allem in der Mitte der Gesellschaft fürchteten viele Menschen Wohlstandsverluste. «Bisweilen hat man den Eindruck, dass jeder Zentimeter der eigenen Position verteidigt wird.» Vogel sprach von «gesellschaftlichen Long-Covid-Phänomenen ganz eigener Art». Dennoch dürfe «nicht jeder Rüpel entschuldigt werden, indem man alle möglichen sozialen Faktoren heranzieht». Wer durch Wort und Tat Angst und Schrecken verbreite, sei notfalls auch ein Fall für das Strafrecht.

 

Die digitalen Medien verstärkten die spaltende Wirkung von Hassbotschaften, sagte Vogel. Je rauer der Ton und je abwegiger eine Meinung sei, desto mehr Aufmerksamkeit könne sie dort erzeugen. «Wenn Brutalität siegt, dann im sogenannten Netz.» Vogel fügte hinzu: «Da wirken die Kampagnen der Bild-Zeitung aus vergangenen Tagen wie eine Erinnerung an eine gute alte Tante, die immer etwas aus dem Rahmen gefallen ist.»

 

Gegenkräfte gegen eine Verrohung seien «Menschen, die Brücken bauen und den Dialog suchen, in religiöser oder politischer Hinsicht», sagte Vogel. Diese Kräfte seien nach wie vor stark: «Wir lernen in unserer Forschung viele engagierte Leute kennen, die sich trotz aller Widrigkeiten für ein gutes Miteinander einsetzen. Das zeigt, über welche positiven Zukunftsenergien wir verfügen. Wir müssen daher nicht den Kopf in den Sand stecken.»

 

Das Weihnachtsfest könne daran erinnern, dass Menschen wechselseitig verpflichtet seien, «etwas zum Nutzen aller zu machen und nicht nörgelnd die Hände in den Schoß zu legen», betonte Vogel. Allerdings genüge es nicht, nur an Weihnachten Mitmenschlichkeit zu predigen. Freiheit und Demokratie sowie der Sozial- und Rechtsstaat müssten das ganze Jahr über gegen Hetzer, Spalter und Hassprediger verteidigt werden. «Zivilcourage für ein solidarisches Miteinander ist heute gefragter denn je.»

Kirche-Oldenburg
Soziologe: Gesellschaftliches Klima ist anstrengend geworden