Erstmals seit seiner Berufung durch das Landeskabinett im Herbst 2019 hat Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter einen Bericht vorgelegt. Neben einer Übersicht über die Vielfalt des jüdischen Lebens finden sich darin Mahnungen und Impulse.
   
Hannover (epd). Der niedersächsische Antisemitismus-Beauftragte Franz Rainer Enste warnt vor einem «Tarnkappen-Antisemitismus» und fehlendem Geschichtsbewusstsein. In seinem am Freitag vorgelegten ersten Jahresbericht erläutert Enste unter anderem, dass Judenhass gerade in Begleitung mit Verschwörungsmythen neue Verbreitungswege in der Gesellschaft finde. «Antisemitismus begegnet uns heute nicht nur in den altbekannten Erscheinungsformen. Vielmehr kommt er immer mehr nicht im offenen Visier daher, sondern in Gestalt von chiffrierten Botschaften, die es unbedingt zu erkennen gilt», sagte er bei der Vorstellung des Berichts in Hannover.
   
Zugleich betonte Enste, die deutsche Erinnerungskultur sei «ein einmaliges Immunsystem» gegen Hass und Hetze. Sie müsse daher weiter gepflegt und gerade in der heutigen Zeit mit immer weniger Zeitzeugen dauerhaft gesichert werden. Dabei gelte es besonders, die jüngeren Generationen zu erreichen. «Viele Jugendliche, mit denen ich diskutiere, erwecken den Eindruck, dass die Grauen von Auschwitz so weit weg für sie sind, wie die Grauen des Dreißigjährigen Krieges – das muss man sich bewusstmachen.»
   
Enste erläuterte weiter, der Kampf gegen den Antisemitismus müsse auf der Grundlage einer Gesamtstrategie auf zahlreichen unterschiedlichen Feldern geführt werden. Gerade angesichts der derzeitigen politischen Rahmenbedingungen komme es darauf an, neben den klassischen Instrumentarien der Prävention und Strafverfolgung auf dem Feld der politischen Bildung und der schulischen Erziehung gänzliche neue kreative Ansätze umzusetzen. Unter anderem regte er eine verbindliche Bildungseinheit für angehende Lehrer, Erzieher, Polizisten und Richter zum Wert jüdischer Kultur an.
   
Ein deutliches Augenmerk müsse auch der Verbreitung von Judenhass im Internet geschenkt werden, forderte Enste. Die Hetze im Netz bediene nicht nur alte antisemitische Parolen, sondern bilde eine schleichende Gefahr für das demokratische Gemeinwesen. Die weitgehende Anonymität im Internet habe auf die Äußerung antisemitischer Haltungen eine enttabuisierende Wirkung. «Diesem Phänomen mit achselzuckender Gleichgültigkeit zu begegnen wäre angesichts der historischen Lehre, dass das, was mit Auschwitz endete, mit Worten begann, von geradezu geschichtsvergessener Blauäugigkeit.»
   
Justizministerin Barbara Havliza (CDU) nahm Enstes Bericht mit dem Titel «Jüdisches Leben in Niedersachsen – bereichernd und schützenswert» am Freitag entgegen. «Nicht jede antisemitische Äußerung ist strafbar, aber jede dieser Äußerungen sollte Widerspruch hervorrufen», sagte sie. «Und Herr Enste legt da sehr stark den Finger in die Wunde.» Es brauche massiven Widerstand gegen immer wieder artikulierte Vorurteile sowie gegen verbale Ausschreitungen und tätliche Angriffe auf jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, sagte Havliza.
   
epd

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Warnung vor verdecktem Hass und fehlendem Geschichtsbewusstsein