Geht es nach Märchen wie Rotkäppchen, ist der Wolf böse und muss am Ende sterben. Mowgli aus dem Dschungelbuch dagegen oder die Zwillinge Romulus und Remus verdanken dem Wolf ihr Leben.
«Literatur prägt unser Bild vom Wolf», sagte der Göttinger Literaturwissenschaftler Hartmut Hombrecher am Mittwoch bei einer Podiumsdiskussion des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums zum Thema «Wer hat Angst vorm bösen Wolf?». Nachdem Wölfe in Deutschland zur Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet waren, habe die Darstellung des bösen Wolfes in der Literatur zugenommen. In Ländern wie Polen oder Russland, wo der Wolf nie fort war, werde er dagegen eher als ein Waldtier von vielen dargestellt.

   Was prägt das Bild vom Wolf? Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) hatte zu dem Podium Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen eingeladen, auch um die oft emotional geführte Diskussion zu versachlichen. Thümler zeigte zugleich Verständnis für die Ängste der Nutztierhalter und berichtete von Erfahrungen der Schäfer aus seiner Heimatregion Wesermarsch.

   Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow erläuterte, wo die Angst vor Wölfen herkommt. Es handele sich um eine jahrhundertealte vererbte Urangst, sagte der Psychiater: «Jeder Mensch wird mit einem kompletten Angstsystem geboren.» Ängste würden über Generationen vererbt, um die Menschheit vor «Totalausfällen» zu schützen, sagte
er: «Unsere Vorfahren sind die Angsthasen.»

   Bei den Urängsten spiele es keine Rolle, wie real die Bedrohung tatsächlich sei, betonte der Wissenschaftler. So hätten viele Menschen Flugangst, weil es gegen die Natur des Menschen sei zu fliegen. Dabei sei etwa das Risiko, mit einem Kugelschreiber getötet zu werden, deutlich höher als mit dem Flugzeug abzustürzen. Um die tradierte Angst vor Wölfen zu reduzieren, müssten Menschen vermehrt Wölfe im Wald sehen und feststellen, dass nichts passiert, schlug Bandelow vor.

   Die Tiermedizinerin Friederike Gethöffer plädierte für eine breitere wissenschaftliche Aufklärung über Wölfe. «Fakten können helfen, Ängste zu reduzieren», sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. So bevorzugten Wölfe Wildtiere wie Rehe, Wildschweine oder Rothirsche als Nahrung. Nutztiere wie Schafe reiße ein Wolf dagegen nur, wenn es an Alternativen mangele oder es ihm nicht genug verwehrt werde.

   Einen hundertprozentigen Schutz für Weidetiere gebe es allerdings nicht, räumte die stellvertretende Leiterin des niedersächsischen Wolfbüros, Verena Harms, ein. Sie rief dazu auf, jeden Verdacht auf einen Wolfsriss zu melden. Harms betonte, dass viele Menschen eine falsche Vorstellung hätten, wie Wölfe im Rudel leben. Zudem verhielten sich nicht alle Menschen angemessen gegenüber Tieren.

   Wer einem Wolf im Wald begegne, solle sich kräftig bemerkbar machen, riet die Biologin: «Der Wolf soll merken, dass mit Menschen nicht gut Kirschen essen ist.» Harms kritisierte das Verhalten von Waldbesuchern, die Wölfen hinterhergingen, um bessere Fotos machen zu können. «Das führt zu einer noch stärkeren Gewöhnung an den Menschen.» In Niedersachsen leben den Angaben zufolge etwa 13 Rudel mit je fünf bis zehn Wölfen.

epd
Source: Kirche-Oldenburg