Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation – und Margot Käßmann feiert mit. Sie ist die offizielle Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjubiläum 2017 und erzählt, warum Reformation heute so aktuell ist wie zu Luthers Zeiten.

Frau Käßmann, Sie sind seit 2012 Botschafterin der evangelischen Kirche für das Reformationsjubiläum. Was war bisher ihr schönstes Reformations-Aha-Erlebnis?

Das schönste Aha-Erlebnis hatte ich in Hong-Kong. Eine junge Frau sagte, dass sie sich von diesem chinesischen „Du musst leisten, du musst gut sein in Musik, in Sprache, in Benehmen, in allem“ immer getrieben gefühlt habe. Doch dann habe sie begriffen, dass sie frei sei, von Gott geliebt, selbst wenn sie nichts leistet. Sie nannte das ihre „Befreiungserfahrung“. Für mich war es wieder die Erkenntnis: Reformatorische Theologie ist topaktuell.


Was hat Sie an der Aufgabe gereizt?

500 Jahre Reformation – so ein Ereignis erlebst du nur einmal. Luther hat mich schon als Schülerin umgetrieben, dann als Studentin und auch als lutherische Bischöfin, ganz klar. Dass ich das mitgestalten darf  – und dann noch in diesem internationalen und ökumenischen Kontext – das macht großen Spaß.

Wie erklären Sie Menschen auf der Straße „Reformation“?

Bei allem Fundamentalismus unserer Zeit sind die zentralen reformatorischen Gedanken für mich hochaktuell: Frei zu denken, selbst zu fragen, nur dem eigenen Gewissen verpflichtet zu sein. Der Bildungsgedanke spielt eine Rolle: In der Lage zu sein, sich selbst eine Meinung in Glaubens-, aber auch in Weltdingen zu bilden.

Politische Umbrüche, Terrorgefahr – es passiert gerade viel in der Welt. Wie kann Reformation in solch schwierigen Zeiten etwas sein, das einen Menschen bewegt?

Mir hat neulich ein Mann gesagt: „Frau Käßmann, ich beneide Sie um Ihr Gottvertrauen!“ Das hat mich sehr berührt, weil ich denke, das ist etwas, was Martin Luther auch getragen hat. Luthers Zeiten waren auch nicht einfach. Er war vogelfrei, musste um sein Leben fürchten. Sein Gottvertrauen hat ihn in schwierigen Zeiten getragen. Er hat sich gesagt: „Baptizatus sum!“ – Ich bin getauft, ich bin gehalten! Dadurch konnte er mit seiner Angst umgehen. Ich denke, das ist etwas, wonach Menschen sich heute auch sehnen.


Was ist für Sie eine persönliche Herausforderung der Reformation im alltäglichen Leben?

Die Freiheit eines Christenmenschen immer wieder neu zu leben: Mich nicht einfach anderen Meinungen hinzugeben, sondern selbst einen kritischen Geist wachzuhalten. Ich mache den Mund auf, wenn ich es für richtig halte, das ist für mich reformatorisch. Luthers Auftritt vor dem Reichstag zu Worms ist auch für mich ein protestantisches Sinnbild: Er stand dort zu seinen Überzeugungen, selbst wenn es einen, modern gesagt, Shitstorm gab. Eine Grundlage meines Glaubens ist zudem, immer wieder die Bibel zu lesen. Dabei entdecke ich stetig Neues, das ich vorher so nicht gesehen hatte.

Was soll vom Reformationsjubiläum bleiben?

Ich wünsche mir, dass vom Reformationsjubiläum 2017 eine Aufbruchsstimmung ausgeht. Dass wir aufhören, uns klein zu machen, auch wenn es sein kann, dass wir weniger, älter und ärmer werden. Dennoch werden wir Salz der Erde sein. Es hat niemand behauptet, dass man nur mit viel Geld gut Kirche sein kann.

Ein Interview des evangelischen Magazins chrismon.
  
Source: Kirche-Oldenburg