„Wir laden Sie heute zu Tischreden zu einem gesellschaftlich brisanten Thema ein“, begrüßten die beiden Organisatorinnen des Abends 80 Frauen im Lambertus-Saal der St.-Lamberti-Kirche zu Oldenburg. 
   
„Wir sind viele“ lautete das Motto Frauenmahls 2019, das die Ev. Frauenarbeit der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg am 08. November 2019 verantwortete. Lange und intensiv hatten Dr. Andrea Schrimm-Heins, Leiterin Evangelische Frauenarbeit und Frauenbildungsreferentin und Gabriele Rüsch-Tillmanns, Gleichstellungsbeauftragte der Kirche Oldenburg dieses Frauenmahl wieder vorbereitet. Sie bedienten den hohen Anspruch, Referentinnen aus Kirche und Gesellschaft für je sieben Minuten Rede zum Thema „Wir sind viele“ einzuladen. Ausführlich stellten Schrimm-Heins und Rüsch-Tillmann die hochkarätigen Referentinnen und ihre beruflichen Werdegänge vor deren  jeweiligen Reden vor.  
    
Das Format Frauenmahl zeichnet sich durch die Tischreden, gemischt mit einer Folge festlicher Speisen in einem elegant hergerichteten Ambiente aus. Die Menüfolgen richtete die Ev. Krankenhaus-Service GmbH an und den guten Service an den Tischen übernahmen Schülerinnen der Graf-Anton-Günther-Schule Oldenburg, der 12. Klasse, Fach Religion.
   
Auch das macht das Frauenmahl aus: Frauen lernen sich kennen und kommen miteinander ins Gespräch. An den zehn gedeckten Tischen saßen je acht Frauen, die sich intensiv während der acht Gänge, von der Vorspeise über Hauptspeisen bis hin zum Nachtisch, über die Reden und das „wir“ austauschten.  
Den Abend begleiteten musikalisch die Freizeitmusikerin Hildegard Kluttig mit der Geige und der Freizeitmusiker Alexander Langenhagen mit der Gitarre. Das Musiker-Duo spielte Folk aus Dänemark, England, Irland und Polen.  
   
Fast vier Stunden lang genossen alle Anwesenden dieses gelungene Frauenmahl und gingen nach dem gemeinsam gesungenen Irischen Segenslied „Möge die Straße uns zusammen führen“ mit vielen positiven Äußerungen auseinander.  
   
Auszüge aus den Reden der Referentinnen 
Cornelia Coenen-Marx, Oberkirchenrätin a.D., Pastorin und Autorin, Geschäftsführerin der Agentur „Seele und Sorge“, aus Garbsen-Osterwald, stellte die Frage nach der Normalität des Christseins in den Fokus. „Ob ich an Gott glaube, eigentlich bin ich ganz normal“, dieses Zitat aus Ostdeutschland sei im Westen häufig veröffentlicht worden. Wie wäre es, wenn es nicht mehr normal sei, Christ zu sein, und plötzlich nicht mehr zu dieser Mehrheit zu gehören. Die Referentin ging auf die Verschiedenheit der Menschen ein. 
„Normalität heißt aber nicht, dass alle gleich sind“, dabei seien wir alle auf andere Menschen angewiesen und das sei wirklich normal. Schluss solle sein mit der Einteilung in verschiedene Gruppen, „wir gehören alle zusammen“. Sie sprach von Inklusion und Exklusion. „Tatsächlich haben wir als Kirche zur Exklusion beigetragen“, Coenen-Marx zählte etliche Betroffene auf und  plädierte für Offenheit, was eine echte Herausforderung sei. „Denn wir wollen alle normal sein, daher passen wir uns an. Der Anpassungsdruck war auch in Kirche und Diakonie sehr hoch. 
Gott sei Dank haben wir inzwischen in der Kirche gelernt und lernen noch. Wir lernen das eigene Leben zu lieben, ohne andere klein zu machen.“ Wichtig sei es, zu lernen, dass das wir sich immer wieder wandele. „Wenn wir uns öffnen, entsteht die Chance das wir zu finden, nachdem wir uns sehnen.“ Dieser Abend biete die Chance dazu, das einfach auszuprobieren.  
   
Prof. Dr. Katharina Block, Juniorprofessorin für Sozialtheorie am Institut für Sozialwissenschaften, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, betrachtete Vielfalt als reales und praktisches Phänomen. Die Bedeutung von Vielfalt würde in sozialen Kontexten ausgehandelt. Aus soziologischer Sicht erklärte sie, was denn überhaupt der Ausspruch „Wir sind viele“ bedeute.
Sie stellte die Frage in den Raum, wer mit Vielfalt gemeint sei, um dann das Thema der ökologischen Vielfalt, für Block, ebenso existenziell relevant, anzusprechen. Daher wolle sie die Zuhörenden dazu anregen, immer auch über ökologische Vielfalt zu sprechen. „In der Anerkennung der eignen Position, als nur eine unter vielen, liegt die Herausforderung für uns selbst, mit Vielfalt umzugehen. Ist die Anerkennung geglückt, liegt die Chance darin, neue Geschichten von Vielfalt zu erzählen, als nur menschliche.“ 
   
Dr. Tamara Alchammas, Kunstwissenschaftlerin, Freischaffende Künstlerin, aus Oldenburg, stellte ihre Lebensgeschichte vor. Vor 14 Jahren kam sie aus Syrien nach Deutschland, um hier ihre Doktorarbeit im Bereich Kunst und Medien zu schreiben. Inzwischen sieht sie Oldenburg als ihre zweite Heimat. Offen sprach sie über ihre Beweggründe, die Anfangsschwierigkeiten und die schnelle positive Aufnahme in Oldenburg. 
Alchammas sprach über den Begriff Herausforderung, der für sie mit vielen Merkmalen und Eigenschaften verbunden sei. Wichtig sei die unterstützende Gesellschaft für die Zielerreichung. „Jeder in der Gesellschaft kann dazu einen Beitrag leisten.“ Das habe sie in Oldenburg erlebt, wo sie vielen tollen Menschen begegnet sei, die geben, ohne Gegenleistung zu erwarten. „In diesen kleinen Gesten, die von Herzen kamen, sehe ich Jesus und die kirchliche Erziehung, die man in dem Wort geben zusammenfassen kann.“ 
   
Petra Bohlen, Leiterin der August-Hinrichs-Bühne, des Staatstheaters Oldenburg, sprach als  Kennerin und Verfechterin der Niederdeutschen Sprache. In Platt stellte sie die Entwicklung und Veränderungen der plattdeutschen Mundart vor bis zur heutigen „eigenen Sprache“ vor. Sie sprach über die niederdeutsche Amateurbühne, die in der Sparte „Niederdeutsches Schauspiel“ des Oldenburgischen Staatstheaters eine feste Institution sei. Die unterschiedlichen Amateure seien Frauen und Männer aus vielen Nationalitäten. Jugendliche könnten lernen, Theater zu spielen und und auf der Bühne zustehen. 
   
Das plattdeutsche Theater habe die Möglichkeit, Grenzen zu überwinden und über Hürden zu gehen. „Beim Oldenburgischen Staatstheater und der August-Hinrichs-Bühne können alle Menschen ohne Angst verschieden sein. Wir als Bühne sind bunt, indem was wir sind und was wir tun und damit ein lebendiger und einladender Teil einer offen, freien und bunten Gesellschaft.“
   
Marion Rövekamp, Vorständin Personal und Recht der EWE Aktiengesellschaft Oldenburg, äußerte sich positiv über die gelungenen Tischgespräche des Abends an ihrem Tisch. Das Thema Vielfalt nahm sie zum Anlass, über die Vielfalt bei der EWE zu sprechen. „Was ist bei uns Vielfalt. Es gibt ein schönes Sprichwort, das heißt: Viele verschiedene Blumen ergeben einen Strauß.“ Das sei ein sehr schöner Ausdruck, was Vielfalt bedeute und erklärte, was ihr Unternehmen EWE unter Vielfalt verstehe. „Wir gucken auf den Menschen.“ Verborgene Talente seien wichtig, die inneren Werte der Mitarbeitenden würden berücksichtigt um darüber die Vielfalt deutlich mehr zum Vorschein zu bringen. Sie betonte, dass zur Vielfalt auch der wissenschaftlichen Faktor gehöre und stellte das Unternehmen und seine Strategien vor. „Wir wollen das Thema Vielfalt, wir sorgen mit allem, was wir an Randbedingungen haben dafür, dass das klappt und stehen nach innen und Außen für dieses Thema.“ 
   
Freddy Dutz, Leiterin des Pressereferates, Evangelisches Missionswerk in Deutschland (EMW), Hamburg, beleuchtete etliche Facetten der Aussage „Wir sind viele“. Noch nie hätten zur gleichen Zeit auf dem Planeten so viele Menschen gewohnt, wie heute. „Wir sind viele“, der Satz könne mutlos machen, dagegen der Satz „Gemeinsam sind wir stark“ ein Mutmachsatz sein. Der Satz klinge wirke manchmal auch ziemlich arrogant, wenn es heißt: „Wir stehen auf der richtigen Seite der Mehrheit. Doch was ist, wenn ich persönlich Minderheit bin.“ Wie wäre es, wenn eine Minderheit nicht grundsätzlich als etwas Feindliches angesehen werde, sondern ein Teil der Gemeinschaft sei. Dazu müssten möglicherweise Regeln der Inklusion erfunden werden. Für Dutz kann die Gleichbehandlung aller Menschen nicht die Lösung unserer Probleme sein. „In kommenden 25 Jahren werden in Deutschland zehn Millionen Menschen mehr sterben als geboren werden“, Dutz sprach die momentane Einwanderungspolitik an, die nicht wirklich hoffen ließe, dass Menschen in diesem Zeitraum hier einwandern könnten. 
   
Die Referentin regte mit ihren Ausführungen zum Nachdenken an. „Was bedeutet es, wenn wir hier im Land älter werden aber anderswo mehr Menschen geboren werden?“ „Wir, die jetzt lebende Menschheit müsste sich überlegen, wie das Zusammenleben so organisiert werden kann, dass Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Teilhabe, Freiheit und Frieden entstehen und bewahrt bleiben können.“ Dutz erklärte, was sie unter den fünf Prinzipien verstehe. Sie glaubt: „Dass wir hier, die wir heute da sind, Möglichkeiten haben, unsere Gesellschaft und auch unsere Kirchen und Kirchengemeinden organisieren können, dass alle Menschen in einem guten Leben chancengleich leben können.“ Die Umsetzung der fünf Prinzipien könnte als Handlungsanleitung gelten und durch ein allgemeines Gesetz gefestigt werden. Oder bezogen auf das Zitat aus der Bibel „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, werde der Satz „Wir sind viele“ nichts mehr sein, vor dem wir uns grauen müssten. Dutz schloss mit dem „Mutmachgedicht von Peter Rosegger: „“Ein bisschen mehr“ und einigen Versen aus dem Kirchenlied „Ein feste Burg ist unser Gott“.  
   
Peter Rosegger
Ein bißchen mehr…

   
Ein bißchen mehr Friede
und weniger Streit,
ein bißchen mehr Güte
und weniger Neid,
ein bißchen mehr Liebe
und weniger Haß,
ein bißchen mehr Wahrheit,
das wär doch schon was.
   
Statt soviel Hast
ein bißchen mehr Ruh’.
Statt immer nur ich
ein bißchen mehr Du!
Statt Angst und Hemmungen
ein bißchen mehr Mut
und Kraft zum Handeln,
das wäre gut.
   
Kein Trübsinn und Dunkel,
mehr Freude und Licht.
Kein quälend Verlangen,
ein froher Verzicht
und viel mehr Blumen
so lange es geht,
nicht erst auf Gräbern,
da blühn sie zu spät!
    
Die Texte der Referentinnen werden in Kürze auf der Web-Seite der Ev. Frauenarbeit zu lesen sein: www.frauenarbeit.kirche-oldenburg.de.                                 
Bärbel Romey

Source: Kirche-Oldenburg