Osnabrück/Berlin (epd). In Deutschland ist es nach Ansicht des Wirtschaftspsychologen Uwe Kanning noch immer ein Tabu, offen über die Höhe des eigenen Verdienstes zu sprechen. Anders als etwa in den USA oder England hätten Besserverdienende in Deutschland häufig das Gefühl, sie müssten sich rechtfertigen, sagte Kanning am Donnerstag im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Bundeskabinett hatte sich am Mittwoch auf ein Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit von Frauen und Männern geeinigt. Danach hätten Frauen künftig einen Anspruch darauf zu erfahren, wie viel ihre männlichen Kollegen für gleichwertige oder gleiche Arbeit verdienen.

Kanning betonte: «Ein hohes Gehalt ist bei uns nicht automatisch ein Ausdruck besonderer Leistung. Es wird unterstellt, jemand habe Beziehungen, die richtigen Eltern oder einfach Glück gehabt.» Der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück ist gerade zum Professor des Jahres 2016 des Karrieremagazins Unicum Beruf gewählt worden.

Hinzu komme, dass die weitaus meisten Menschen ein positiv verzerrtes Bild von ihrer eigenen Leistung hätten, betonte Kanning. «Sie schätzen ihre Arbeit überdurchschnittlich ein. Nur wenige glauben von sich, sie liegen im oder gar unter dem Durchschnitt.» Deshalb fühlten sich die meisten Menschen, die eher wenig Geld verdienten, ungerecht behandelt. «Das alles führt dazu, dass wir Deutschen selbst im Freundeskreis nicht erzählen, was wir verdienen.»

Der Gesetzentwurf könnte dieses Tabu durchbrechen, sagte der Experte. Allerdings werde der Wandel zu mehr Offenheit vermutlich mindestens eine Generation dauern. Denn zunächst werde es Frauen schwer fallen, sich nach den Löhnen ihrer Kollegen zu erkundigen. «Sie drücken damit indirekt ja ein gewisses Misstrauen gegenüber ihrem Arbeitgeber aus.»

Die Unterschiede in der Bezahlung haben nach den Worten Kannings auch damit zu tun, dass vor allem viele kleine Unternehmen keine geeigneten Maßstäbe entwickelt hätten, Leistung objektiv zu messen. «Dann greifen die Chefs oft unbewusst auf Stereotype zurück. Der junge dynamische Außendienstmitarbeiter hat dann automatisch einen Vorsprung gegenüber der eher zurückhaltenden Kollegin.» Auch Frauen in Männerdomänen kämen dabei oft schlechter weg. Die geringere Entlohnung von Frauen begründeten Firmen dann mit der schlechteren Leistung.

Source: Kirche-Oldenburg