Wer einen Brief noch ab und zu mit der Hand schreibt, der weiß, wie ärgerlich es ist, wenn man am Ende einer ordentlichen Seite feststellt, dass mittendrin ein deutlicher Fehler ist und jede Korrektur jetzt alles nur noch schlimmer macht. Umso schlimmer und offensichtlicher, wenn die beschriebene Seite eine vier mal zehn Meter breite Stoffbahn ist.
Monatelang hat Tina Asche in diesem Jahr auf der Nordempore der Christus- und Garnisonkirche gestanden und Texte aus Gästebüchern auf solche Stoffbanner geschrieben (oder besser: gemalt). Nur zweimal ist es in dieser Zeit passiert, dass sie sich verschrieben hat. Fast meditativ hat sie Wort für Wort abgeschrieben und den Text um ein Vielfaches vergrößert. Am Reformationstag, 31. Oktober um 10 Uhr, wird im Gottesdienst mit dieser außergewöhnlichen Kunstaktion des 500-jährigen Jubiläums gedacht. Martin Luther hatte mit seinen Worten die damalige Welt erschüttert. Die Macht der Worte wurde in den Auseinandersetzungen ganz deutlich. – Welche Veränderungen bedeutete es, dass die Menschen auf einmal die Bibel selber lesen und verstehen konnten. In der evangelischen Kirche, die für manche auch die Kirche des Wortes ist, bekamen die Worte über Gott und das Wort von Jesus Christus einen immer größeren Stellenwert.
Wie kann man Erinnern feiern?
Mit der Kunstaktion „Wort für Wort“ nimmt die Künstlerin Tina Asche diese Thematik in der Christus- und Garnisonkirche auf. Sie hat in arbeitsintensiver Vorarbeit Gästebücher aus den vergangenen 20 Jahren durchgelesen. Diese Bücher liegen immer öffentlich aus. Menschen schreiben für alle sichtbar ihre Grüße, Wünsche und auch Hoffnungen hinein. Manche Texte sind auch nur für jene verständlich, die die jeweilige Sprache lesen können. Koreanische, arabische, russische Texte stehen im Wechsel mit Texten in Farsi oder Deutsch nebeneinander. Tina Asche hat alle Texte von Übersetzern in Deutsche übertragen lassen. Dann hat sie in einem weiteren Schritt aus den Texten einzelne Sätze anonymisiert zusammengestellt. Herausgekommen sind dadurch große Textflächen, in denen Freud‘ und Leid, Grüße und Fragen direkt nebeneinanderstehen.
Wie kann man das Erinnern feiern?, haben sich die Organisatoren der Kunstaktion gefragt. In der Christus- und Garnisonkirche ist die Gemeinde beständig damit konfrontiert, unterschiedlicher historischer Daten zu gedenken. Sie tut dies mit Lesungen, Ausstellungen, Vorträgen, gemeinsamen Kooperationen, Theateraufführungen und ähnlichen Aktionen, aber vor allem versucht sie, dies immer wieder mit gemeinsamen Gottesdiensten zu tun. In Gottesdiensten werden viele dieser Aktionen gebündelt oder sie führen darauf zu. Manches Erinnern kann auch nur dadurch ge- und ertragen, dass es vor Gott abgelegt wird und in seine Verantwortung abgegeben werden.
Tiefe und Weite geben
Im Reformationsgottesdienst wird mit dieser großen symbolischen Kunstaktion „Wort für Wort“ dem gemeinsamen Erinnern eine besondere Tiefe und Weite geben. Gottesdienstfeiernde werden von Worten eingehüllt sein. Die sogenannte Vierung, in der die beiden Seitenschiffe und das Hauptschiff aufeinandertreffen, wird mit den beschrifteten Stoffbahnen be- und verhängt. Gleichzeitig werden die Bahnen in ihrer Transparenz aber auch eine Durchsicht ermöglichen. So wird es den Anschein haben, als ob die Worte im Kirchenraum tanzen. Die Kunstaktion wird dann auch in den folgenden Tagen in der Kirche zu sehen und zu erleben sein.
Ein Beitrag von Frank Morgenstern für „horizont E“
Info:
Der Gottesdienst in der Christus- und Garnisonkirche beginnt am Reformationstag, 31. Oktober, um 10 Uhr. Im Anschluss an den Gottesdienst wird Prof. Dr. Reinhard Schulz, Hochschullehrer für Philosophie an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg die Kunstausstellung „Wort für Wort“ vorstellen.
Die Ausstellung ist vom 31. Oktober bis zum 29. November geöffnet.
Source: Kirche-Oldenburg