Essen/Hannover (epd). Die Freiheiten des Westens stehen aus Sicht des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff so stark unter Druck wie lange nicht mehr. Es gebe keine Garantie, dass die Gesellschaft friedlich und demokratisch bleibe, sagte Wulff beim Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen in Essen. Sein Gastvortrag in einem ökumenischen Gottesdienst im Essener Dom stand unter dem Motto «Wir müssen uns bekennen! Über Freiheit und Haltung». Die Feier gestalteten Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und der katholische Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck.

Terrorismus, Globalisierung und Digitalisierung seien die großen Herausforderungen der Gegenwart, die zu einer Spaltung der Gesellschaft geführt hätten, sagte der frühere niedersächsische Ministerpräsident. Man müsse dafür sorgen, dass sich nicht weiter Menschen von der Gesellschaft abwenden. Ein Klima von Angst und Wut werde gerade im Internet befördert. «Das Vertrauen in die Institutionen und die, die Verantwortung haben, fehlt», erklärte das frühere Staatsoberhaupt. «Diese Zeit ist in hohem Maße von Zertrennung geprägt.»

Er sei besorgt, wenn er den Zustand der Demokratie sehe, sagte Wulff. Er rief dazu auf, die eigene Meinung offen zu äußern und dafür zu kämpfen: «Dieses Deutschland ist ohne aktive Demokraten am Ende.» Die Weimarer Republik habe die Deutschen gelehrt, was andernfalls passiert. «Wenn viele in der Demokratie schlafen, dann kann es sein, dass sie in der Diktatur aufwachen», erklärte der frühere Bundespräsident.

Wulff äußerte den Wunsch nach mehr Zuversicht, dass die Herausforderungen gemeinsam bewältigt werden können. «Angst darf nicht die Leitschnur unseres Lebens und Handelns sein», betonte er. Stattdessen rief er dazu auf, mutiger zu sein, um die freiheitlichen Werte zu erhalten. Multikulturalität und das Zusammenleben verschiedener Ethnien und Kulturen seien das Gebot der Stunde. «Wir Christen sind heute besonders gefordert, weil wir ein Klima der Angst um uns herum haben», fügte er hinzu.

Das Ruhrbistum und die rheinische Kirche laden seit 1998 jährlich zum Sozialpolitischen Aschermittwoch der Kirchen nach Essen. In Anlehnung an die traditionellen Partei-Veranstaltungen an diesem Tag setzen die Kirchen hier einen politischen Akzent aus christlicher Perspektive. So wollen sie zum Ausdruck bringen, dass christlicher Glaube auch zugleich christlichen Einsatz für eine gerechte Gesellschaft bedeutet. Die Veranstaltung findet jährlich wechselnd in einer katholischen und einer evangelischen Kirche statt.
Source: Kirche-Oldenburg