Das höchste deutsche Gericht hat ein wegweisendes Urteil zum Verbot der Sterbehilfe gesprochen. Die Meinungen darüber gehen in Niedersachsen und Bremen auseinander. Ein evangelischer Bischof weicht dabei von der Linie seiner Kollegen ab.

Hannover/Bremen (epd). Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur organisierten Sterbehilfe stößt in Niedersachsen und Bremen auf ein unterschiedliches Echo. Sowohl in der evangelischen Kirche als auch im Gesundheitswesen gab es gegensätzliche Reaktionen. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) sowie Justizministerin Barbara Havliza (CDU) begrüßten die Entscheidung. Viele andere Kirchenvertreter sowie die Präsidentin der Ärztekammer, Martina Wenker, zeigten sich enttäuscht oder skeptisch.

Das höchste deutsche Gericht hatte zuvor das Gesetz zum «Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung» gekippt. Das 2015 beschlossene Gesetz sei verfassungswidrig, weil es das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränke, entschieden die Karlsruher Richter.

Meister sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) «Ich glaube, dass das Urteil eine wichtige Klärung ist.» Es mache deutlich, dass zur Würde des Menschen auch das Selbstbestimmungsrecht gehöre. «Als Christ sage ich: Die Gabe Gottes, nämlich mein Leben, hat er in meine Verantwortung gelegt. Diese Verantwortung währt bis zum letzten Atemzug. Und da ich an das ewige Leben glaube, habe ich auch die Rechtfertigung, den Zeitpunkt und die Art und Weise, wie ich sterbe, mitzugestalten.» Gleichwohl müsse die Kirche alles tun, dass eine solche Entscheidung nicht «wie ein Marktgeschehen» organisiert werde.

Der Oldenburger evangelische Bischof Thomas Adomeit bedauerte das Urteil dagegen. «Es wächst nun die Gefahr, dass in Zukunft Alte, Schwererkrankte und Gebrechliche zur Selbsttötung ermutigt werden», sagte er: «Das Sterben ist Teil unseres eigenen Lebens. Es darf nicht anderen, organisierten Interessen und Angeboten unterworfen werden.»

Kritisch zu dem Urteil äußerte sich auch die Bremische Evangelische Kirche. «Damit ist einer Entwicklung Tür und Tor geöffnet, die für uns als Kirche nur schwer erträglich ist», sagte Bremens leitender Theologe Bernd Kuschnerus dem epd. «Ist das Töten erst einmal legal, dann ist der Damm gebrochen, und es wird bald gesellschaftsfähig.» Der Gesetzgeber müsse nun dringend die Regelungen präzisieren.

Niedersachsens Ärztekammer-Präsidentin Martina Wenker nahm die Entscheidung ebenfalls mit Skepsis auf. Die Gesellschaft brauche mehr Informationen über Schmerztherapie oder Palliativmedizin, sagte sie in Hannover auf epd-Anfrage: «Aber keine offene Tür für geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid.» Die Mitwirkung eines Arztes bei der Selbsttötung sei keine ärztliche Aufgabe.

Die niedersächsische Diakonie, Trägerin zahlreicher evangelischer Krankenhäuser, zeigte sich besorgt, dass das Urteil kranke Menschen verunsichern könnte. «Sterbende sollen die Sicherheit behalten, dass sie ein Recht haben auf eine hospizlich-palliative Begleitung und eine umfängliche Pflege bis zuletzt», unterstrich Vorstandssprecher Hans-Joachim Lenke. Die Entscheidung dürfe nicht dazu führen, unter finanziellem oder sozialem Druck auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten. Patienten dürften nicht die Sorge haben, sie seien für ihre Angehörigen oder die Allgemeinheit zu teuer.

Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) betonte dagegen, die Richter hätten eine Entscheidung getroffen, die den Wünschen und der Situation todkranker Menschen Rechnung trage. Es sei nicht Aufgabe des Staates, unheilbar kranken Menschen Vorschriften zu machen. «Ich möchte, dass Menschen in Frieden sterben können, ohne ins Ausland fahren zu müssen oder auf die Hilfe selbst ernannter Sterbehelfer angewiesen zu sein.»

Landesjustizministerin Barbara Havliza (CDU) sprach von einem einschneidenden Urteil: «Es wird künftig im Zentrum der Debatten stehen, wenn wir uns als Gesellschaft fragen, wie man den Menschen ein Sterben in Würde ermöglichen kann, ohne zugleich den Schutz des Lebens aufzugeben», sagte sie dem epd. Im Kern finde sie es richtig, dass jeder Mensch in bestimmten Situationen das Recht habe, frei zu entscheiden, ob er aus dem Leben scheiden wolle. «Zugleich haben Staat und Gesellschaft aber eine Verpflichtung, das Leben so gut wie möglich zu schützen.»

Source: Kirche-Oldenburg