Heute vor 70 Jahren wurde die Stadt Wilhelmshaven befreit. Polnischen und britischen Truppen wurde die Stadt übergeben. Bürger und Bürgerinnen legten deswegen heute Rosen an den Gräbern der deutschen Bombenopfer nieder. Oberbürgermeister Andreas Wagner und Pastor Frank Morgenstern hielten die zwei Gedenkreden. Hier können Sie die Worte von Frank Morgenstern nachlesen:
Ansprache Morgenstern am 6. Mai 2015, 11.00 h, Friedhof Aldenburg
70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs in Wilhelmshaven
Sehr geehrte ERINNERNDE,
Zuerst einmal unsere tiefe Dankbarkeit an die polnischen und britischen Truppen, die am 6. Mai die Stadt bei Cafe Hillmers übernahmen und denen sie übergeben wurde. Auch wenn sie heute nicht da sind.
Auch wenn es vielleicht keiner hört: danke für all die Opfer, die sie gebracht haben auf dem Weg. Danke für die Rettung Deutschlands. Ohne diese Truppen und all die anderen Armeen wäre Deutschland heute nicht das, was Deutschland ist.
Sie haben uns davor bewahrt in einem Staat geboren zu werden, in dem es die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Religion, die Freiheit der Orientierung nicht gegeben hätte. Für mich als Pastor ist das klar. Uns hätte es nicht mehr gegeben. Wer einen Pastor wie Ludwig Müller als Vorgänger hat, der darf das sagen. Denn dieser Ludwig Müller kämpfte als Reichsbischof Hitlers dafür, dass Arierparagraphen und nationalsozialistische Gedanken ihren Raum bekamen in der Kirche.
Die endgültige Kapitulation der Deutschen Wehrmacht zum 8 Mai war dann die Rettung der Menschen in den Straflagern und in den KZs. Es war die glückliche Fügung des Schicksals, dass die Befreiten noch überlebten und nicht wenige Tage vorher noch umgebracht wurden, wie so viele auf den Todesmärschen.
Und der 8. Mai war die Rettung der Menschen, die nachgeboren wurden.
Ohne Wenn und Aber: das Ende des Krieges war die Befreiung vom Nazi Regime.
Wir stehen hier an den Gräbern von 500 Männern, Frauen und Kindern.
500 Menschen zu viel und die Familien die davon betroffen sind, tragen die Geschichte immer noch mit sich.
So ist jeder Gedenktag immer ein Erinnern an den Einzelnen. Um den einen wird getrauert. Noch letzten Monat erzählte mir eine alte Frau, wen sie alles aus ihrer Familie bei dem einen großen Angriff verloren hatte und dass jetzt als alte Frau die Erinnerungen umso mehr hervorkämen. Jeder gewaltsame Tod ist zu viel.
500 Tote bei 100 Angriffen auf die Stadt, wie wenig ist das dann doch wieder, verglichen mit den Tausenden, die in Wielun, Rotterdam, Coventry, Hamburg oder Dresden im “Feuersturm” starben.
Die immer noch existierenden endlosen Bunker in unserer Stadt boten Schutz, erzählen aber auch von der Gewalt alleine hier in der Stadt. Virchowstraße, Rheinstraße, Ebertstraße, Mühlenweg, Hamburger Straße, Banter See, die Bunker sind immer noch Legion. …….. Sie erzählen davon, was und wie man vorgebeugt hatte, und was man alles erwartet hatte.
Das Gedenken kann sich immer nur am Einzelnen festmachen, aber es ist wichtig, die unfassbaren Zahlen zu nennen, um sich zu vergegenwärtig war, wie groß die Gesellschaft der Einzelnen und ihrer Nachgeborenen war und ist, die der Krieg veränderte und bis heute prägt.
In dem Land, in unserem Land, von dem der Krieg ausging haben allein 1.1. Millionen Zivilisten diesen Tod erlitten wie die 500 hier. Zusätzlich 5.1 Millionen Soldaten. Das sind unglaubliche Zahlen.
Noch unglaublicher sind die Zahlen zum Beispiel auf anderen Seiten und das ist immer wieder vergessen worden: zum Beispiel die auf russischer Seite.
In der Monatszeitung Chrismon sind in diesen Tagen Veteranen der sowjetischen Armee vorgestellt worden und der Redakteur schreibt im Teaser. EIN WUNDER, dass sie – die Veteranen – heute mit uns reden. „Die Rote Armee hat die Hauptlast des Krieges gegen Nazi Deutschland getragen. Dieser Sieg, sagen Historiker, war eine welthistorische Leistung. Zu einem entsetzlichen Preis: Fast 27 Millionen Bürger und Bürgerinnen der Sowjetunion verloren während Krieg und Besatzungsterror ihr Leben – 11,4 Millionen Soldaten und 15,2 Millionen Zivilisten.“ Einer der Veteranen wird zitiert: ich hatte so eine tierische Wut, als ich sah, was die Deutschen mit der friedlichen Landbevölkerung gemacht hatten, dass ich alles zerstören wollte und vernichten wollten was mir in Deutschland vor die Augen gekommen war. Er hat es nicht bis Deutschland geschafft. Aber mit welcher Wut sind so viele hier angekommen und wie viel Glück und Gnade haben wir als deutsches Volk nach diesem schrecklichen Krieg gehabt und erlebt.
Die, die Rache, die Wut getroffen hat nach dem Krieg werden dies nicht so sagen. Der Einzelne hat immer sich im Blick. Das einzelne Leid. Aber dennoch:
Wir haben Gnade erlebt und sind gnädig behandelt worden. Gnade sagen die Theologen ist etwas, das einem nicht zusteht, das man aber einfach so geschenkt bekommt. Wir haben Gnade erlebt und sind beschützt worden über 70 Jahre.
Auf dem Ehrenfriedhof (gleich nebenan) liegen etwa 100 russische Kriegsgefangene, umgebracht durch Schläge, Hunger und Krankheit. Kein Stein erinnert sich an sie. Und eigentlich auch kein Mensch über lange Zeit. Seit einiger Zeit sind die Namen bekannt, wahrscheinlich schon lange. Aber um sie ist es lange Jahrzehnte TOTENSTILL gewesen. Nun braucht es einen Stein.
Ein guter Tag heute um daran zu erinnern.
Dank an die Retter.
Dank an die Befreier.
Ein Stein als Erinnerung an die, die umgebracht wurden. Ein Stein vielleicht auf dem Friedhof, vielleicht bei uns in der Kirche, in der an so viele Menschen gedacht wird, die im Krieg starben. Warum nicht auch an diese?
Danke, dass Sie mir zugehört haben.