Was bedeutet es eigentlich, das Leben im Pfarrhaus? Was macht es zu etwas Besonderem, und wie hat es sich über die Jahrhunderte entwickelt? Davon erzählt die Ausstellung „Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“, die bis zum 21. November in der Landesbibliothek Oldenburg zu sehen ist. Bevor die Besucherinnen und Besucher der Ausstellungseröffnung sich selbst ein Bild davon machten, führten der oldenburgische Bischof Jan Janssen, die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Edda Bosse, und die Kulturwissenschaftlerin Dr. Andrea Hauser ins Thema ein.
Es sei gut, dass heute nicht mehr nur die Pfarrfamilie im Pfarrhaus leben dürfe, „sondern auch Singles oder zwei Männer zusammen“, machte Edda Bosse deutlich. Das prägende Element aus dem Hause Luthers sei der Esstisch gewesen, wo sich immer wieder Menschen versammelt hätten. „Einen solchen Tisch zur Begegnung wünsche ich mir in jedem Pfarrhaus. Einen Tisch, der Verbindlichkeit, Vertrauen und den Genuss an Gottes guten Gaben bietet. Sie wünsche sich einen Tisch wie den Luthers „für unsere Pfarrhäuser und unsere Herzen“, so die Kirchenpräsidentin.
Er habe das Pfarrhaus als gastfreundliches, offenes Haus erlebt, als politisches und als musisch-kulturelles, erzählte Bischof Jan Janssen, selbst Pfarrerssohn. „Dafür bin ich dankbar – auch dafür, hier und da Gegenentwürfe zu gesellschaftlichen Entwicklungen erlebt zu haben.“ Das Pfarrhaus, so Janssen, sei immer nur Station. „Es ist kein Privateigentum – die Menschen kommen eines Tages an und ziehen eines Tages weiter. Ob sich darum die Erfahrung von Heimat geradezu verlagert hat, etwa auf die hohe Kunst des Schreibens und vor allem Sammelns von Briefen, Predigten und Büchern – oder auch auf die bleibende Sehnsucht nach einem Garten?“ Auch ein Pfarrhaus sei eigentlich total normal. „Im besten Fall gibt es dort fürs Leben Freiheit und Freude zu lernen“, schloss der Bischof.
Das Pfarrhaus könne „eine Insel der Frömmigkeit oder der Anfang des Zweifels“ sein, so die Kulturwissenschaftlerin Dr. Andrea Hauser in ihrem Impulsreferat „Selbst- und Fremdbilder im Wandel“. Noch immer werde das Bild des Pfarrhauses vom 18. Jahrhundert geprägt, die dargestellte Idylle, das Pfarrhaus als Sehnsuchtsort aber, „das war schon damals Mythos“, sagte sie. Erst durch die Reformation und die Aufhebung des Zölibats habe sich überhaupt die Pfarrfamilie entwickeln können. Seither gilt das Leben im Hause Luthers mit Geselligkeit und Gespräch als prägend. „Dabei war Luther gar kein Pfarrer, und seine Frau Katharina von Bora auch keineswegs die typische Pfarrfrau“, räumte Hauser mit dieser Vorstellung auf. Im 19. Jahrhundert sei das Pfarrhaus zum Idealbild der bürgerlichen Familie geworden, die Trennung von beruflichem und privatem Leben sei lange nicht möglich gewesen. „Das Pfarrhaus war ein gläsernes Haus.“ Das empfinde mancher auch heute noch so. Ein vorbildlicher Lebenswandel, die Frau des Pfarrers, die sich sozial engagierte – diese Erwartungshaltung hätten gerade im ländlichen Bereich viele Menschen an „ihren“ Pfarrer. Durch die Aufklärung und die damit verbundene Kritikfähigkeit wurden die Pfarrhäuser auch politisch. „Das zeigte sich unter anderem in der 68-er Bewegung“, so Hauser.
Mittlerweile wandeln sich das Pfarrhaus und sein „Innenleben“: Ganz selbstverständlich lebt hier auch eine Pfarrerin, ein Pfarrer ohne Familie, eine Pfarrfrau, die einen eigenen Beruf hat. Den Wandel in der Geschichte und der Bedeutung des Pfarrhauses innerhalb der Gesellschaft zeichnet die Ausstellung mit detaillierten Texten, Bildern und regionalen Besonderheiten nach und regt damit zum Diskurs an. Die Landesbibliothek selbst, verriet Leiterin Corinne Roeder, habe noch ein eigenes Exponat in die Ausstellung „geschmuggelt“: eine Lutherbibel mit einer Widmung Luthers an den Eigentümer. Pfarrhäuser aus der heutigen Zeit haben ganz unterschiedliche Ausstellungsgegenstände beigesteuert: Da stehen kleine Engel neben Fußballspielern, Buddelschiffe neben Lutherfiguren. Auch das zeigt, wie vielseitig es ist, das Leben im Pfarrhaus, und wie sehr es von den Menschen geprägt wird, die dort leben.
Im Rahmen der Ausstellung wird am Sonntag, 8. November, ein Erzählcafé zum Leben im Pfarrhaus angeboten, verbunden mit dem Film „Das weiße Band“ (Cine k, 11.30 Uhr). Die Ausstellung ist montags bis freitags von 10 bis 19 Uhr geöffnet, samstags von 9 bis 12 Uhr. Weitere Veranstaltungen und Informationen finden Sie unter www.akademie-oldenburg.de und www.lb-oldenburg.de
Anke Brockmeyer
Source: Kirche-Oldenburg