Oldenburg (epd). Der am Dienstag beginnende Mordprozess gegen den Ex-Krankenpfleger Niels Högel wird nach Ansicht der Opferschutz-Expertin Petra Klein vom «Weißen Ring» für die Angehörigen der Opfer eine enorme Belastung werden. «Wir werden mit zehn ehrenamtlichen Helfern im Prozess-Saal sein und die 126 als Nebenkläger an dem Prozess teilnehmenden Angehörigen unterstützen», sagte die Leiterin der Oldenburger Außenstelle des «Weißen Rings» dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Högel muss sich vor der 5. Strafkammer des Oldenburger Landgerichts wegen 99, möglicherweise sogar 100 Morden verantworten. Zwischen 2000 und 2005 hatte er Patienten in Oldenburg und Delmenhorst Medikamente gespritzt, um absichtlich lebensbedrohliche Herzprobleme bis hin zum Herzflimmern auszulösen. Anschließend reanimierte er seine Opfer, um als Held zu erscheinen. Högel verbüßt bereits für sechs weitere Taten eine lebenslange Haftstrafe (Az: 5Ks 1/18). Wegen der Schwere der Taten darf er nicht nach 15 Jahren entlassen werden.

Angehörige von Mordopfern reagierten in Prozessen ganz unterschiedlich, wenn sie dem Täter erstmals von Angesicht zu Angesicht gegenübersäßen, sagte Klein. «Einige wollen dem Täter in die Augen sehen und auch vom Täter gesehen werden, nach dem Motto: ‘Sieh mich an. Das hast du aus mir gemacht.’ Andere ertragen dies nicht und brechen zusammen.»

Die psychische Druck in einem solchen Verfahren sei für die Angehörigen enorm hoch, sagte Klein. «Sie sitzen neben ihren Anwälten und anderen Betroffenen. Ihre vertrauten Familien sind weit weg im Zuschauerraum oder gar zu Hause.» Die geschulten Mitarbeitenden des «Weißen Rings» stünden in dieser Situation als Gesprächspartner bereit. «Wir sind dann so etwas wie ein Anker für die Seele.»

Schlimm sei es, wenn die Angehörigen begönnen, sich selbst für die Tat verantwortlich zu machen, sagte Klein: «Da kommen Gedanken wie: Ich habe den Mann doch immer bei meinen Besuchen im Krankenhaus gesehen – warum habe ich nicht gemerkt, dass der meine Mutter umbringen will? Hätte ich das verhindern können?» In solchen Fällen helfe nur die klare Ansage: «Nicht Sie, sondern der Täter hat getötet. Er hat die Verantwortung dafür.»

Generell sei das Thema Verantwortung der Schlüssel für die Angehörigen. «Sie alle wollen hören, dass sich Högel zu seinen Taten bekennt und seine Verbrechen bereut.» Sei dies der Fall, sei die Höhe der Strafe eher nebensächlich, erläuterte Klein.

Der ganze Prozess sei mit viel Trauer verbunden. Die Menschen hätten erstmals getrauert, als sie die Todesnachricht bekommen hätten, und ein zweites Mal, als sie erfahren hätten, dass etwa ihre Mutter oder ihr Ehemann exhumiert werden muss. Nun treffe sie der Schmerz ein drittes Mal, wenn im Verfahren alle Details wieder aufgerollt würden.

Source: Kirche-Oldenburg