In Oldenburg sowie drei niedersächsischen Landkreisen werden in einem Pilotprojekt sogenannte Gemeindenotfallsanitäter eingesetzt. Sie sind für jene Patienten zuständig, die die Notrufnummer 112 rufen, ohne ein Notfall zu sein.

Oldenburg (epd). Wenn Lars Christians unterwegs zu einem Einsatz ist, bleibt meistens das Blaulicht aus – und das, obwohl zuvor ein Mensch die Notrufnummer 112 gewählt hat. Der junge Mann, zu dem Christians an diesem Mittag unterwegs ist, hat sich mit einem Messer sehr tief in den Finger geschnitten. Christians verbindet dem Verletzten die Hand und schickt ihn dann zu einem Chirurgen. «Hätte es weniger stark geblutet, hätte ich einfach nur die Hand versorgt. So aber hatte ich die Befürchtung, dass eine Arterie betroffen ist», sagt er hinterher über den Einsatz. Das habe er klären lassen wollen.

Lars Christians ist 45 Jahre alt und seit Jahresbeginn sogenannter Gemeindenotfallsanitäter beim Malteser Hilfsdienst in Oldenburg. In der Stadt sowie in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg und Ammerland arbeiten derzeit 25 dieser speziell ausgebildeten Notfallsanitäter im Rahmen eines auf zwei Jahre angelegten Pilotprojekts. Sie sollen jene Einsätze abdecken, bei denen offensichtlich kein Notfall vorliegt.
Denn das gibt es immer öfter: Bei rund 30 Prozent aller Notrufe sei ein Rettungswagen tatsächlich nicht erforderlich, hatte Vechtas Landrat Herbert Winkel (CDU) zum Projektstart gesagt.

Ruft heute in Oldenburg oder den drei Landkreisen ein Mensch die 112, wird in der Leitstelle zunächst sortiert. «Dort muss erkannt werden: ‘Es handelt sich nicht um einen Notfall.’ Andererseits kann das Problem aber auch am Telefon nicht gelöst werden. Dann fährt ein Gemeindenotfallsanitäter hin», sagt Stefan Thate, Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Oldenburg. Je nach Zustand des Patienten entscheide er, ob er den Patienten versorge, ihn in eine Klinik schicke oder doch einen Rettungswagen rufe.

Man darf sich einen Gemeindenotfallsanitäter nicht als halben Sanitäter vorstellen, der lediglich die einfachen Aufgaben übernimmt: Tatsächlich haben Lars Christians und seine Kollegen zuvor allesamt als Notfallsanitäter gearbeitet und eine Zusatzqualifikation erworben. Während der Pilotphase wird ihr Gehalt von den Krankenkassen finanziert. Wer es nach Ablauf übernimmt, ist noch nicht sicher.

Die Gemeindenotfallsanitäter sind ans System der Notfallversorgung angekoppelt: Wenn es einen lebensbedrohlichen Notfall gibt und es um Sekunden geht, wird in Oldenburg immer das nächstgelegene Einsatzfahrzeug per GPS geortet und dann zum Patienten geschickt. Weshalb Lars Christians vor dem Besuch bei dem Mann mit dem blutenden Finger zu einer Reanimation gerufen wurde. Solche Einsätze kommen nicht so oft vor, aber sie gehören dazu. Jeder Gemeindenotfallsanitäter muss sie beherrschen.

Das Modell des Gemeindenotfallsanitäters bietet Einsparpotenzial, wie Rettungsdienstleiter Stefan Thate erläutert. «Ein Rettungswagen ist mit einem Notfallsanitäter besetzt sowie einem Rettungssanitäter.
Ein Gemeindenotfallsanitäter hingegen ist alleine unterwegs. Ich spare also Personalkosten.» Allerdings sei das Ziel keineswegs Stellenabbau – es gehe vielmehr darum, mit der stetig steigenden Zahl an Notrufen überhaupt noch umgehen zu können. Von 2012 bis 2017 seien die Einsatzzahlen des Rettungsdienstes in Oldenburg durchschnittlich um sechs Prozent jedes Jahr gestiegen. «Das hat sicher etwas damit zu tun, dass sich die Gesellschaft zum Beispiel aus der Nachbarschaftshilfe mehr und mehr zurückzieht», sagt Thate.

Eine ähnliche Beobachtung haben die Krankenkassen gemacht, die das Projekt deswegen begrüßen. AOK-Sprecher Oliver Giebel spricht von vielen Bagatellfällen. «Die Einsatzzeiten in der Notfallrettung steigen kontinuierlich. Gleichzeitig ist bei rund einem Drittel der Rettungswageneinsätze dieser gar nicht erforderlich, weil keine vitale Bedrohung beim Patienten vorliegt.» Gemeindenotfallsanitäter könnten diesem Trend sowie den überfüllten Klinik-Notaufnahmen entgegenwirken.

Ob das Projekt Gemeindenotfallsanitäter in der Praxis tatsächlich funktioniert, wird mit den Universitäten Maastricht und Oldenburg sowie dem Klinikum Oldenburg untersucht. In zwei Jahren soll eine wissenschaftliche Bewertung vorliegen.
Source: Kirche-Oldenburg