Ein epd-Gespräch: Martina Schwager
Osnabrück (epd). Der Corona-Lockdown hat den Menschen vor Augen geführt, wie schnell und kompromisslos die Politik der Wirtschaft ins Rad zu greifen vermag, wenn die Not nur groß genug ist. Klima-Aktivisten weltweit fragen sich, warum nicht auch die vermutlich noch viel größere Gefahr durch Erderwärmung, Anstieg des Meeresspiegels oder das Artensterben ein ähnlich drastisches Eingreifen rechtfertigen sollte. Ja, die Klimakrise ist eine mit deutlich mehr Risikopotential als die Corona-Krise, sagt der Generalsekretär der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), Alexander Bonde, in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Aber weil die Veränderung des Klimas die Menschheit noch lange beschäftigten werde, brauche sie einen langfristig angelegten Umbau der Wirtschaft, meint der Chef der europaweit größten Umweltstiftung. Sie vergibt jährlich den mit 500.000 Euro dotierten Deutschen Umweltpreis an herausragende Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft, deren Einsatz in vorbildhafter Weise zum Erhalt der Umwelt beitragen.
epd: Herr Bonde, würden Sie sich in der Klimakrise ähnlich viel Durchsetzungsvermögen und Entschlossenheit von Politik und Gesellschaft wünschen wie in der Corona-Krise?
Bonde: Die Klimakrise ist im Gegensatz zur Corona-Krise eine langfristige Krise mit deutlich höherem Risikopotential. Die Bundesbürger sehen das im Übrigen sehr realistisch. Laut dem DBU-Umweltmonitor sagen 59 Prozent der Bürger, dass die Klimakrise langfristig noch größere Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben wird als die Corona-Krise. Die Klima-Krise macht keine Pause und ist die eigentliche große Herausforderung.
epd: Dennoch scheint es deutlich schwerer, zum Schutz des Klimas zu durchgreifenden Veränderungen zu kommen. Trotz jahrzehntelanger Bemühungen gibt es kaum Erfolge zu vermelden. Warum?
Bonde: Es ist kar: Hätte man gemeinsam früher reagiert, könnte man heute viel weiter sein. Jetzt ist das Klimaabkommen von Paris die geltende Vereinbarung. Aber wir müssen uns erheblich anstrengen, wenn wir das internationale Ziel von weltweit nur 1,5 Grad Erderwärmung erreichen wollen. Und schon die Erwärmung von 1,5 Grad bedeutet globale Veränderungen und Einschnitte. Wir erleben es in Deutschland im dritten Jahin Folgege, was etwa die anhaltende Trockenheit für die Natur, aber auch für Menschen in der Land- und Forstwirtschaft bedeutet.
epd: Glauben Sie, dass sich die Einsicht und Bereitschaft der Menschen, mitzuziehen, aus der Corona-Krise in die Klimakrise hinüberretten lässt?
Bonde: Es sind beides sehr unterschiedliche Krisen. Die Klimakrise hat sehr viel komplexere Zusammenhänge. Die Ursachen sind nicht annähernd so schnell und so einfach in den Griff zu bekommen wie es bei einer Pandemie der Fall ist. Weltweit sind durch die Pandemie die Mobilität und die Wirtschaftstätigkeit deutlich reduziert worden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass auf dem Höhepunkt der Krise die Kohlendioxid-, also CO2-Emissionen weltweit im Vergleich zum Vorjahr um etwa 17 Prozent gefallen sind. Und doch sind das Einsparungen, die nicht annähernd in der Größenordnung liegen, auf die wir in den nächsten Jahrzehnten kommen müssen.
epd: Was bedeutet das?
Bonde: Das macht deutlich, dass einfach nur Runterfahren die Klimakrise nicht lösen wird. Wir müssen in einen Prozess kommen, anders zu wirtschaften und zu produzieren und in Kernprozessen die CO2-Freiheit herzustellen. Insofern ist die Klimakrise die wirklich große Herausforderung. Wir werden grünes Wachstum, einen ganz anderen – effizienteren – Umgang mit Technologien brauchen. Und wir werden einen viel effizienteren Umgang mit Ressourcen brauchen, indem wir sie in einen Kreislauf führen. Wir werden also unheimlich viel Modernisierung in die Wirtschaft bringen müssen. Das wird für die Bürger auch Veränderungen mit sich bringen. Aber Verhaltensänderungen des einzelnen alleine würden nicht viel bringen.
epd: Sie sprechen von grünem Wachstum und Modernisierung der Wirtschaft. Wird es denn weiterhin wirtschaftliches Wachstum geben und auch geben müssen?
Bonde: Der entscheidende Punkt wird sein, dass wir anders wachsen. Die entscheidende Frage nach der Corona-Krise wird sein, ob wir es schaffen, das Wiederhochfahren der Wirtschaft damit zu verbinden, Weichen zu stellen. Der entscheidende Punkt wird sein, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch und vor allem von CO2-Emissionen zu entkoppeln. Denn die Folge aus dem Paris-Abkommen ist ja, das Ziel einer CO2-neutralen Wirtschaft bis 2050, am besten aber schon sehr viel früher zu erreichen.
epd: Hat die Bundesregierung in ihrem gerade beschlossenen Konjunkturpaket diese Weichen gestellt?
Bonde: Die Bundesregierung hat in ihrem Paket durchaus bewusst Komponenten für die ökologische Modernisierung angelegt. Das freut mich. Aber insgesamt ist da noch mehr notwendig. Wir brauchen darum herum noch weitere Maßnahmen. In zentralen Bereichen der deutschen Wirtschaft stehen Modernisierungsfragen an, etwa in der Mobilität. Es geht zum einen darum, den öffentlichen Personennahverkehr und modularen Verkehr zu stärken, also die Nutzung verschiedener aufeinander abgestimmter Verkehrsmittel. Zum anderen sollen im Individualverkehr die Elektrifizierung und in der Logistik die Wasserstoff-Technik vorangebracht werden. Da hat die Bundesregierung zu Recht erste Punkte im Konjunkturpaket gesetzt. Darüber hinaus werden wir aber noch erhebliche Anstrengungen brauchen.
epd: Was konkret ist noch notwendig?
Bonde: Nicht nur der Verkehr, auch weitere CO2-intensive Prozesse müssen möglichst schnell elektrifiziert oder auf Wasserstoff-Technik umgestellt werden, um runterzukommen von den emissionsstarken Energieträgern. Das ist ein ganz zentraler Prozess. Darüber hinaus müssen wir mit Rohstoffen anders umgehen und sie in einen Kreislauf bringen. Bisher werden sie energieintensiv gewonnen und verarbeitet, kurz genutzt und dann ebenso energieintensiv entsorgt. Deutsche Ingenieurskunst sollte von vornherein daran denken, die Rohstoffe nach der Nutzung in die nächste Nutzung zu bringen. Da haben wir erhebliches Potenzial zur CO2-Reduktion. Die Europäische Union und das europäische Parlament sind intensiv dran an dieser Frage. Deutschland müsste endlich auch in die Pötte kommen. Diesen Teil habe ich im Konjunkturpaket vermisst.
epd: In welchem Bereich könnten die Ressourcen stärker im Kreislauf geführt werden?
Bonde: Das zieht sich quer durch alle Produktionsprozesse, etwa bei der Art und Weise, wie wir heute bauen. Mehr als die Hälfte des Abfalls in Deutschland sind mineralische Stoffe, die aus dem Bau entstehen. Da haben wir eine viel zu geringe Recyclingquote, obwohl wir enorm CO2 einsparen könnten. Das gleiche gilt für alles, was wir täglich produzieren und konsumieren bis in den Verpackungsbereich hinein.
epd: Wird der Reiseverkehr, der während der Corona-Krise zurückgegangen ist, auch nach der Krise auf einem niedrigen Niveau bleiben? Haben die Menschen realisiert, dass es zum Wohle der Umwelt und des Klimas durchaus mit Videokonferenzen und ohne die jährliche Urlaubsfernreise geht?
Bonde: Ich bin überzeugt, dass die vielen guten Erfahrungen, die mit Homeoffice und Videokonferenzen gemacht worden sind, nicht vollständig verschwinden werden. Corona hat Türen geöffnet. Allerdings muss auch die Digitalisierung nachhaltig gestaltet werden. Bei der Energieeffizienz von Rechenzentren müssen wir in den kommenden Jahren deutlich vorankommen. Insgesamt glaube ich aber, dass wir als Individuen zwar viel Einfluss nehmen können auf den Klimaschutz. Aber der entscheidende Punkt wird sein, ob es uns als gesamter Gesellschaft und als Politik gelingt, die Art und Weise des Wirtschaftens zu ändern. Bei dem hohen Energie- und Ressourcenverbrauch in der Industrie ist klar: Die Frage des individuellen Verhaltens wird nicht allein das Problem lösen. Der entscheidende Ansatz ist zu gucken, wie wir marktwirtschaftlich die Anreize so setzen können, dass wir die klimafreundlichen Innovationen vorantreiben, dass wir zentrale Produktionsbereiche CO2-frei stellen. Das ist der Punkt, wo wir die wirklich großen Mengen CO2 reduzieren können. Wir müssen mit den entscheidenden Weichenstellungen in die Parlamente und in die Fabriken.
Internet: www.dbu.de
Source: Kirche-Oldenburg