„Darum beneide ich Sie, aber …“ Diesen Satz konnten die Gäste der Festveranstaltung der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg zum diesjährigen Reformationstag  in die Klosterkirche Vechta von den Teilnehmenden eines Podiumsgesprächs am häufigsten hören. Unter der Moderation von Dr. Gabriele Lachner, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Niedersachsen hatten Pastorin Bärbel Krohn-Blaschke für die evangelisch-methodistische Kirche, Offizialatsrat Msgr. Bernd Winter für die römisch-katholische Kirche und Kreispfarrer Michael Braun für die evangelisch-lutherische Kirche gegenseitig ihre Konfessionen vorgestellt.
   
Nachdem das Reformationsjubiläum im vergangenen Jahr von einem wachsenden Miteinander der christlichen Konfessionen geprägt war, solle nun nicht nur in der Zählung der Jahre, sondern auch im Miteinander weitergehen, sagte Bischof Thomas Adomeit in seiner Begrüßung. Die Reformation habe die Gesellschaft und die Kirchen verändert. Beide verändern sich weiter – und so könne dieser neue gesetzliche Feiertag der Reformation ein guter Anlass sein, dieses Verändern miteinander zu bedenken.
   
Kleineren Gemeinden in der evangelisch-methodistischen Kirche
Im Podiumsgespräch, bei dem Kreispfarrer Michael Braun die evangelisch-methodistische Kirche vorstellte, hob er zunächst die Nähe beider Kirchen hervor. So gebe es zwischen der evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland und der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) seit 1987 volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. In theologischen Fragen stünden sich beide Kirchen sehr nahe und wichen nur in Nuancen voneinander ab. „Aber ich beneide Sie, um die die stärkere religiöse Sozialisation, die über das Elternhaus stattfindet und um die kleineren Gemeinden in der evangelisch-methodistischen Kirche“, sagte Braun. So habe eine Gemeinde hat im Schnitt 111 Gemeindeglieder und eine Pfarrstelle sei für 166 Christinnen und Christen da, während ein Gemeindepfarramt in der evangelisch-lutherischen  Kirche auf knapp 3.000 Gemeindeglieder komme, in der katholischen Kirche seien es noch deutlich mehr. Das seien „traumhafte Verhältnisse und das bei einer Kirche, die nicht nur auf ethisches Handeln und Mission, sondern auf die Beteiligung von Laien ganz besonderen Wert legt.“
   
Die katholische Kirche stehe „mitten im Leben“
In der Vorstellung der römisch-katholischen Kirche betonte Pastorin Bärbel Krohn-Blaschke, wie sehr die katholische Kirche mit ihren Mitgliedern „mitten im Leben“ stehe. Gerade in der katholischen Arbeiterbewegung nehme sie das wahr, sowie der aktive Widerstand in Missständen, wie es  aktuell bei den unzumutbare Zustände für Arbeiter im südlichen Oldenburg geschehe. Dieses „mitten im Leben“ könne sich auch darin äußern, dass es Kollegen möglich sei, im ganz normalen Plauderton eine Andacht zu Beginn einer Sitzung zu halten und dann „ohne Vorwarnung“ in ein Gebet überzugehen. „Das fasziniert mich sehr“, betonte Krohn-Blaschke. Hinzu komme der große Schatz von liturgischen Gesängen und Gebeten aus dem die katholische Kirche schöpfen könne. Die Bedeutung der Heiligen und dass nur Männer geweiht und priesterlich tätig sein dürfen, könne sie allerdings nur schwer nachvollziehen. „In der Zusammenarbeit freue ich mich über die Freiheit, in der miteinander offen Gottesdienst gefeiert werden kann, ein freundliches Wort gefunden wird und ehrlicher Austausch möglich ist“, so Pastorin Krohn-Blaschke.
   
Fragen aus dem Publikum
Aus dem Publikum auf die Gottesdienst angesprochen, erwiderte Monsignore Bernd Winter, dass er sich „eine größere Freiheit“ wünsche. Leider würden Wortgottesdienste und andere Formen von den katholischen Christen nicht so angenommen. Die Vorstellung, dass nur eine Messe ein „richtiger Gottesdienst“ darstelle, sei noch zu sehr in den Köpfen verwurzelt.  Auch zu einer gemeinsamen Eucharistie „müssen wir hin“, aber es werde sicherlich noch seine Zeit dauern. Da teile er den Schmerz. Bei einem neuen Feiertag hätte er sich lieber den Buß- und Bettag gewünscht, aber er sei gerne dabei, gemeinsam an diesem Tag auf Christus zu schauen und dafür einzutreten, dass der christliche Glaube eine gesellschaftliche Bedeutung habe. Schließlich gebe es viele gemeinsame wichtige Fragen, die aufgriffen werden sollten. Ein Beispiel sei die Klimaerwärmung, die nicht durch ein Fingerschnipsen behoben werden könne, dort sei jede und jeder mit seinem Verhalten gefordert.
   
Die „Freiheit für Veränderungsprozesse“ in der evangelisch-lutherischen Kirche
Die evangelisch-lutherische Kirche beneide er um die „Freiheit für Veränderungsprozesse“, sagte Monsignore Bernd Winter in seiner Vorstellung. Die katholische Kirche, die sich als Weltkirche verstehe, reagiere immer nur langsam. Die evangelische Kirche könne sogar mit unterschiedlichen Entscheidungen leben, wie es bei der Frauenordination oder bei der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare der Fall sei. Auch innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) gebe es unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Entscheidungen. So hatte die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg bei der Frauenordination 1966 bundesweit das fortschrittlichste Pfarrergesetz verabschiedet. 
    
Die Freiheit, auch „heiße Eisen“ anfassen zu können, sehe er in der hohen Bedeutung der Synode. Dort würden Entscheidungen nach demokratischen Prozessen getroffen und zwar von „ganz normale Leute“ seien, die von den Kirchengemeinden delegiert worden seien und Zweidrittel der Mitglieder in der Synode ausmachen. „Dass bei ihnen die Gemeinden soviel Einfluss haben, darum beneide ich sie“, sagte Winter. Möge sie  immer auch eine geistliche Versammlung sein, die gemeinsam um Entscheidungen ringe und treffe. Im Vergleich dazu seien manche Entscheidungswege in der katholische Kirche hingegen nicht mehr zeitgemäß. Unbehagen bereite ihm die synodale Struktur allerdings dann, „wenn Glaubensaussagen oder Werte, die in sich stehen“, zu einer Entscheidung kommen sollten. Denn die könne man nicht per Mehrheitsentscheid verändern. Insgesamt erlebe er die evangelische Kirche als offen, freundlich und einladend. Viele Prozesse würden in der evangelisch-lutherischen und in der katholischen Kirche ähnlich verlaufen und er sei dankbar für die vielen guten Kontakte. „Was für uns zukunftsweisend und was unser Kerngeschäft ist“, darüber müssen sich die Kirchen verständigen und genauso welche Themen sie sie gemeinsam angehen müssen. Als Beispiele nannte er die Sorge um das geeinte Europa oder die Bekämpfung des Rechtspopulismus. 
   
Freiräume ernst nehmen und zugestehen
In der abschließenden ökumenischen Andacht forderte Bischof Thomas Adomeit, die „Freiheit und bei uns auch das Eintreten für den Frieden“ weiterhin als ein hohes Gut anzusehen. Diese Werte seien mit der Gesundheit vergleichbar. „Erst wenn mal nicht alles glatt läuft, wenn wir Schmerzen haben, dann erinnern wir uns wieder, wie wertvoll die Gesundheit ist. Leider merken wir uns das nicht sehr lange.“ Aber die Freiheit gehe noch weiter: „Freiheit bedeutet nicht nur frei von etwas, sondern auch frei für etwas zu sein.“ Freiheit brauche Entscheidung, wie ich mit ihr umgehe.
   
Gott komme uns Menschen in Jesus Christus nahe, damit Freiheit unser Leben prägen könne. „In dieser Freiheit – von Christus geschenkt und auf Christus hin ausgerichtet – ist es ein Geschenk, diesen Abend miteinander zu gestalten: Im Miteinander der Konfessionen, die sich in aller Freiheit begegnen. Im Ernst nehmen und Zugestehen der Freiräume, die wir brauchen und die unsere Prägungen erst zur Vielfalt werden lassen – auf dem Weg der Einen Kirche Jesu Christi.“
   
Für die Festveranstaltung zum Reformationstag war die Klosterkirche Vechta als symbolträchtiger Ort ausgewählt worden. Sie ist die einzige Kirche im Oldenburger Land, die von evangelisch-lutherischer und römisch-katholischer Kirche gleichermaßen für Gottesdienste genutzt wird. Die musikalische Gestaltung der Festveranstaltung hatte Kantor Eberhard Jung zusammen mit vielen weiteren Mitwirkenden übernommen. 

Source: Kirche-Oldenburg