Mitten in der Krise gibt es einen Wendepunkt, den wir erwischen müssen, den wir festhalten müssen, bevor er sich uns wieder entzieht. Einen Wendepunkt zum Segen, der uns immer wieder zu entgleiten droht. Haben wir ihn schon gefasst? Vom Haben zum Sein, vom Nur-so-tun-als-ob zu echtem Mitgefühl, vom Größer, Schneller, Weiter, Höher zum Klar-Sein im Hier und Jetzt.

 
Mitten in der Krise gibt es einen Wendepunkt.
   
Als Jakob sich abends zum Schlafen ans Flußufer legt, ist er auf einem Tiefpunkt seines Lebens angekommen. Verstritten mit seinem Bruder. Null Plan für morgen, Probleme. Sich schlafen legen, wenn es dunkel wird, ist da wahrscheinlich eine seiner besten Ideen. Mitten im Schlaf ringt Jakob mit einem Engel. Es scheint aber ein Alptraum zu sein.
   
Jakob kämpft und kämpft und müht sich ab. Der andere – übermächtig. Umso mehr er sich anstrengt, umso aussichtsloser erscheint Jakob der Kampf. Aber er hält durch. Als ihm der Engel im Morgengrauen entgleiten will, hält nun Jakob ihn fest, umklammert ihn verzweifelt mit letzten, übermenschlich aufgebäumten Kräften. „Du gehst nicht, bevor du mich segnest!“ bricht es mit krächzender Stimme aus ihm heraus. Und jetzt beginnt der Engel zu kämpfen, kämpft wie verrückt, um frei zu kommen. Die Sonne beginnt aufzugehen, der Engel droht zu entschwinden, aber dann tut er es doch, da Jakob ihn fest hält: Der Engel segnet Jakob. Und dann ist der Traum vorbei.
   
In dieser schönen Maienzeit wären unsere Jugendlichen in den Kirchengemeinden im letzten Jahr schon längst alle „Konfirmierte“ gewesen, also Gesegnete vor Gott und der anwesenden Gemeinde. Nun ist aufgrund der Coronakrise die Konfirmation weitestgehend ausgefallen. Ich glaube, dass dennoch viele unserer Jugendlichen sich gerade jetzt „konfirmiert“ haben. Sie haben sich selbst gestärkt in ihren Werten und in ihrem Glauben ganz ohne Festtag. Indem sie mitten in der Krise herausgefunden haben, was für sie wirklich wichtig ist.
   
Mitten in der Krise gibt es einen Wendepunkt, den wir alle, Junge und Erwachsene, erwischen müssen, den wir festhalten müssen, bevor er sich uns entzieht. Den Segen erwischen, bevor er sich uns wieder entzieht. Und in dem wir gerade gegen eigenen Zweifel darauf bestehen, dass wir das sind, was wir sind: Gesegnete! Gesegnete, die eine lebensvolle Zukunft vor sich haben, in der der Tod keine Macht mehr hat. Bestärkte, uns selbst Bestärkende.
   
Haben wir ihn schon, den Wendepunkt zum Segen, der uns immer wieder zu entgleiten droht? Karfreitag ist vorbei, Ostern ist gefeiert. Auf Tod folgt Auferstehung. Die Natur feiert sich selbst in verschwenderischen Blüten und Blättern, im Sonnenlicht durch das Grün und im frischen Geruch des Regens auf der Erde.
   
Wer fängt jetzt unsere guten Träume? Wer sammelt die guten Ideen, die kostbaren Einsichten der letzten Wochen, um sie in eine neue Zeit mit hinein zu tragen? Wer bewahrt uns den Segen auch für die Zeit nach der Krise, den Segen, der auf allem liegt, was wir in echtem Mitgefühl, in Menschlichkeit für- und miteinander tun?
   
Die Hoffnungsbotschaften, die kontaktlos von Wäscheleinen gepflückt werden in umso größerer Verbundenheit. Seelsorger*innen, die weder Mühe noch Schutzkleidung scheuen, um zu „ihren“ Leuten gelassen zu werden im Pflegeheim oder im Krankenhaus. Kleine Zeichen mit großer Wirkung – und mit noch größerer Symbolkraft für ein Leben, wie wir es uns für die Zukunft wünschen in dieser Stadt, in diesem Land, in Europa, auf der Welt.
   
Wer hält den Segen fest. Wer umklammert ihn mit aller Kraft, die Einsicht, dass Menschen Menschen brauchen, dass ohne menschliche Zuwendung, ohne Gemeinschaft alles andere nichts ist? Wer besteht weiterhin darauf, dass Schwache unterstützt werden und die Schöpfung geschützt wird, die wir in diesen Tagen so genießen? Wer hält den Segen. Haben wir ihn schon oder entgleitet er uns schon wieder?
   
Manchmal fällt es in diesen Tagen nicht leicht zu schlafen. Manchmal grübeln wir und finden keinen Schlaf. Manchmal löst sich aber auch ein Problem wie im Traum. Wie bei Jakob.
   
Pfarrerin Julia Neuschwander 

Bibeltext: 1. Mose 32
Text: Georg Pape
   
An Gott glauben
An den Sommer nach dem Winter glauben
An den Regen nach der Dürre glauben
An den Weizen nach der Saat glauben
An die Gesundheit nach der Krankheit glauben
An den Erfolg nach der Arbeit glauben
An die Versöhnung nach dem Streit glauben
An die Freude nach dem Schmerz glauben
An den Frieden nach dem Krieg glauben
An die Liebe nach dem Haß glauben
An die Gemeinschaft nach dem Alleinsein glauben
An die Zukunft nach der Vergangenheit glauben.
An das Leben nach dem Tod glauben
So glauben wir an
Gott Vater und Gott Mutter
Gott Tochter und Gott Sohn
Gott Bruder und Gott Schwester,
In Jesu Namen. Amen.
Wir bitten Gott um seine Hilfe. Amen.  

Source: Kirche-Oldenburg