epd-Gespräch: Ulrike Millhahn
Hannover (epd). Der niedersächsische Vorstandssprecher der Diakonie, Christoph Künkel, hat die seit Wochen andauernde Debatte um eine Obergrenze für Flüchtlinge kritisiert. «Wer Menschen davon abhalten will, in unser Land zu kommen, muss die Grenzen schließen und sie mit Gewehren nach außen sichern», sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Künkel, der in 2015 auch Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG) in Niedersachsen war, fügte hinzu: «Was wäre die Konsequenz? Sollen die Leute im Mittelmeer ertrinken und in den Lagern zugrunde gehen?»
Diese Diskussion lenke von der eigentlichen Thematik ab, betonte Künkel. «Wir dürfen unsere Humanität nicht verlieren. Das bedeutet, dass wir uns die Fluchtursachen der Menschen ständig vergegenwärtigen müssen.» Es gebe doch zurzeit gar keine Alternative, als die Flüchtlinge aufzunehmen. «Wir müssen uns darum bemühen, dass die Menschen hier unterkommen können und gleichzeitig dafür sorgen, dass ihnen in den großen Lagern im Libanon oder in der Türkei eine menschenwürdige Existenz ermöglicht wird.»
Die größte Herausforderung im neuen Jahr wird Künkel zufolge sein, das enorme Engagement für Flüchtlinge aufrechtzuerhalten. Ob das gelinge, hänge sowohl von der Politik als auch von der öffentlichen Stimmung ab: «Werden wir die Situation schlechtreden oder gutreden?» Fakt sei doch, dass die Asylsuchenden nun einmal hier seien: «Um das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe anzugehen, müssen wir uns zusammentun und gemeinsam an kreativen Lösungen arbeiten.»
Dazu gehöre auch, ihre Eigeninitiativen zu stärken. Manche freiwilligen Helfer trügen ungewollt dazu bei, die Menschen zu entmündigen: «Sie wollen das Beste für sie, indem sie meinen zu wissen, was das Beste ist», sagte Künkel. Das führe auf beiden Seiten zu Frustrationen. Die Asylsuchenden hätten unter schwierigsten Bedingungen die Flucht aus ihren Heimatländern organisiert. Jetzt brauchten sie die notwendige Starthilfe, um ihr Leben auch in Deutschland selbst in die Hand zu nehmen.
Ein wichtiger Punkt sei ein Bürokratieabbau, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt, erläuterte der Sozialexperte. Wesentlich sei dabei, die sozialen Standards zu wahren. «Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass die Flüchtlinge in eine Konkurrenzsituation zu anderen Benachteiligten geraten.» Das würde den sozialen Frieden erheblich beeinträchtigen. Den Tarifpartnern werde dafür ein höchstes Maß an Flexibilität abverlangt – bei gleichzeitiger Bewahrung aller notwendigen Standards wie zum Beispiel dem Mindestlohn.
Ein weiterer Schlüssel sei die Bildung, bei der es nicht nur um Spracherwerb gehe, sondern auch um die Vermittlung von Freiheitsrechten. «Wer unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung überhaupt nicht teilen kann, ist falsch in diesem Land», betonte Künkel. Religionsfreiheit oder auch die Gleichheit der Frau seien Errungenschaften, die nicht verhandelbar seien.
Der Diakonievorsitzende hob hervor, dass die Investitionen in Flüchtlinge auch «ein Motor für die Volkswirtschaft» seien. Als Beispiele nannte er Discounter, die Kleidungsindustrie oder leerstehende Immobilien, die wieder genutzt würden. «Das sind enorme Triebfedern für weitere Umsätze.» Mehr als drei Viertel dessen, was in die Menschen investiert werde, fließe in den staatlichen Kreislauf zurück: «Von daher ist auch das Argument unsinnig, die Flüchtlinge kosten zu viel.»
Internet: www.diakonie-in-niedersachsen.de/
Source: Kirche-Oldenburg