Vor hundert Jahren schwappte aus Skandinavien die Volkshochschulbewegung nach Deutschland. Im Heideort Hermannsburg gründeten Christen eine Heimvolkshochschule, die heute die bundesweit älteste ist.
Hermannsburg/ Kr. Celle (epd). Als Hanna Meyer 1961 nach Hermannsburg kam, wurden junge Frauen und Männer noch getrennt unterrichtet – die einen im Sommer, die anderen im Winter. «Zu Omas Zeiten wurden auch die alten Webstühle noch regelmäßig genutzt, die wir während meines Kurses als Überbleibsel der Vergangenheit besichtigt haben», sagt Meyers Enkelin, Sarah Drewes. Die 20-Jährige hat kürzlich den «Winterkurs» am Evangelischen Bildungszentrum in dem Heideort abgeschlossen, wie in früheren Zeiten schon ihre Großmutter und später ihre Mutter. Und doch blicken die Drewes nur auf einen Teil der Geschichte der Heimvolkshochschule, die am ersten Novemberwochenende ihr 100. Jubiläum feiert.
Angeregt durch den dänischen Pädagogen Nikolai Frederik Severin Grundtvig (1783-1872) brach nach dem Ersten Weltkrieg auch in Deutschland eine Bewegung auf. Unabhängig vom Staat wollte sie Volksbildung betreiben. In Hermannsburg gab der damalige Missionsdirektor Georg Haccius (1847-1926) den Anstoß. «Je mehr nun in Deutschland die Selbstverwaltung und die Demokratisierung zunimmt, desto wichtiger ist es, dass wir unsere ländliche Bevölkerung zur Mitarbeit heranbilden und erziehen», war seine Überzeugung. Auf Basis des christlichen Glaubens lutherischer Prägung gründete er die Heimvolkshochschule.
Heute ist sie nach Angaben ihres Leiters, Stephan Haase, die älteste unter den 23 Heimvolkshochschulen in Deutschland. Wie eine klassische Volkshochschule bietet sie eine Vielfalt von rund 300 Seminaren im Jahr zwischen Paddel-Wochenenden für Väter und Kinder über Malkurse bis zur Auseinandersetzung über religiöse und politische Fragen. In Hermannsburg können bis zu 140 Menschen dabei abseits von ihrem Alltag übernachten. In dem ruhig gelegenen Ort gebe es wenig Ablenkungen, sagt Haase. Das wüssten die Gäste zu schätzen: «Man begegnet sich hier wirklich.»
Mit Neuerungen wie einer Lehrküche, in der die Teilnehmer selbst ökologisch und mit regionalen Zutaten kochen können, versuche das Haus nahe an Themen zu bleiben, die die Menschen bewegten, sagt Haase. Sogenannte «lange Kurse» von mehreren Monaten, mit denen die Bildungsarbeit in Hermannsburg begonnen hat, gibt es bis heute. «Moving times» nennt sich das laut Haase bundesweit einzigartige fünfmonatige Angebot für junge Erwachsene.
In ihren Ursprüngen unterrichtete die Schule jeweils im Winter vor allem Landwirte und andere junge Erwachsene vom Land in mehrwöchigen Kursen. Ab 1922 wurden auch Frauen aufgenommen, zunächst in eigenen Kursen im Sommer. Während der NS-Zeit musste die Heimvolkshochschule schließen, aus wirtschaftlichen Gründen, wie es hieß und wegen politischer Einschränkungen.
Als der Betrieb 1946 neu startete, war der Bedarf groß, sagt Albrecht Schack, der bis 1999 vier Jahrzehnte lang an der Heimvolkshochschule unterrichtete. Flüchtlinge waren ins Land geströmt, der Krieg hatte Lücken in Schullaufbahnen und Ausbildungen gerissen. Zwar habe die Aufarbeitung der Vergangenheit zunächst wohl nicht den Stellenwert gehabt, den man heute erwarten würde. Doch an den Grundgedanken, demokratisches Denken und Mitwirken zu vermitteln und eine christliche «Lebensschule» zu sein, knüpften die späteren Generationen an.
Eines ist dabei nach Sarah Drewes Erfahrung und schon der ihrer Mutter und Großmutter geblieben. Alle drei hätten Selbstbewusstsein gewonnen und die Weichen für ihr weiteres Leben gestellt. «Ich konnte einen etwas distanzierteren Blick auf mich, meine Entscheidungen und mein Leben an sich werfen», sagt Sarah Drewes. «Das alles vermittelt der Winterkurs anscheinend über all die Zeit, auch wenn er sich verändert.»
Source: Kirche-Oldenburg