Thabo ist etwa zwölf Jahre alt. So genau will er es nicht sagen. Er hat früh gelernt, dass man als Gentleman nicht über das Alter spricht. Nicht mal Kirsten Boie hat er es verraten, sagt sie. Die preisgekrönte Kinder- und Jugendbuchautorin sitzt mit einer kleinen, aufmerksamen Gruppe unter zwei sehr alten, sehr hohen Bäumen im Garten des ehemaligen Melanchthon-Gymnasiums zu Wittenberg. Ihr jüngster Zuhörer ist sieben, der älteste sein Opa. Ein lauer Wind weht durch die Grashalme und mit jedem Satz der Schriftstellerin werden die Kettensäge aus dem Nachbargarten und der Lärm der angrenzenden Straße ein bisschen leiser. Boie spricht über den Jungen Thabo. Und sie spricht so über ihn als begleite sie seinen Weg ins Erwachsenenleben schon seit ein paar Jahren. Stimmt eigentlich auch, denn Thabo ist der Protagonist ihrer aktuellen, gleichnamigen Krimireihe. An diesem Nachmittag liest Boie ihrem Publikum aus dem zweiten Band der Serie vor. Bischof Jan Janssen führt durch die Lesung, die unter dem Titel „immer donnerstags“ Gewinner des Evangelischen Buchpreises während des Wittenberger Reformationssommers ihre Werke vorstellen lässt.
„Thabo – Detektiv & Gentleman“ erzählt vom Leben der Menschen im südafrikanischen Binnenstaat Swasiland. Aufgrund der hohen AIDS-Quote dort sind viele Kinder Waisen, erzählt Boie. Diese schwierigen Themen spricht sie in ihren Büchern genauso offen an wie Kindesentführungen oder Wilderei. „Je jünger Kinder sind, desto unbeschwerter sollten die Bücher sein, die sie lesen“, sagt Boie. „Aber wenn sie älter werden, kann man ihnen auch sagen, wie schwer vieles auf der Welt ist.“
Die erste Passage, die Boie aus ihrem Buch ausgewählt hat, ist wie im Flug zu Ende gelesen. Schon? Das Publikum will mehr hören. Gerade jetzt, wo die Ermittlungen von Thabo und seinen Freunden so spannend werden. Boie blättert einige Seiten weiter. Und wieder verschwindet die Wittenberger Realität in den Bildern der Welt, die sie mit ihren Worten schafft. Und wieder bricht sie kurz vor der Auflösung einer spannenden Szene ab. Sie will nicht zu viel verraten, aber beruhigt die Gäste: „Natürlich geht es gut aus, denn solche Bücher gehen immer gut aus.“ Der dritte Band aus der Thabo-Reihe soll im Herbst erscheinen.
„Wie ist die Idee zu Thabo entstanden?“, fragt Bischof Janssen und Boie erklärt es so: Neben dem Evangelischen Buchpreis, der jährlich vergeben wird und 2006 an sie ging, hat die Hamburgerin noch etliche andere, gut dotierte Preise verliehen bekommen. Auf der Suche nach einem Projekt, das sie mit dem Preisgeld unterstützen konnte, stolperte sie vor einigen Jahren über einen Bericht zur Situation in der absoluten Monarchie Swasiland. Bald fuhr sie hin, verliebte sich in den grenzenlosen Optimismus der Menschen, machte die Arbeit mit AIDS-Waisen zu einem Schwerpunkt ihrer Stiftung Möwenweg und lernte ein paar Brocken siSwati, „auch wenn ich die Knacklaute nicht nachmachen kann“, sagt sie. Begriffe in siSwati kommen auch im Buch vor, in dem die Autorin viele ihrer Erlebnisse und Geschichten der Kinder von Swasiland verarbeitet. Von manchen Eltern bekommt Boie sogar die Rückmeldung, ihre Kinder würden sich Zuhause nur noch auf siSwati entschuldigen.
Bischof Janssen hat bisher nur den ersten Band gelesen. Der zweite, sagt er, liegt noch bei seinem 11-jährigen Sohn auf dem Nachttisch. Besonders beeindruckt ist Janssen von einer Anekdote Boies aus Swasiland. Sie habe dort eine Frau getroffen, die trotz allen Leids voller Hoffnung und der Überzeugung war „God sees“ – Gott sieht hin. Für Janssen ist dieser Ausspruch „eine wunderbare Brücke zum diesjährigen Kirchentagsmotto: Du siehst mich!“ Die Menschen in Swasiland fühlen sich auch in schwerer Not von Gott wahrgenommen. Und Kirsten Boie, sagt Janssen, öffnet unseren Blick für diese ganz andere Welt, sorgt dafür, dass auch wir hinsehen. Literatur ist nach Ansicht von Jan Janssen ein Weg, um sich mit Glaubens- und Lebensfragen auseinanderzusetzen und die eine oder andere sogar für sich zu klären. Und Boies Buch ein wichtiger Beitrag dazu.
Mit der Lesereihe „immer donnerstags“ beteiligt sich das Evangelische Literaturportal an den Feierlichkeiten zum 500. Reformationsjubiläum in der Lutherstadt. Bischof Janssen war sieben Jahre lang Vorsitzender des Dachverbands von rund 800 evangelischen Büchereien in Deutschland mit Sitz in Göttingen und moderiert einige der Donnerstags-Veranstaltungen in Wittenberg. Den Anfang der Lesereihe machte am 8. Juni Katja Thimm. Weitere Autoren sind unter anderem Jenny Erpenbeck (6. Juli), Friedrich Christian Delius (20. Juli) und Klaus Kordon (7. September).
Buchtipp: „Thabo – Detektiv & Gentleman. Die Krokodil-Spur", Verlagsgruppe Oetinger, 288 Seiten, 12,99 Euro.
Ein Beitrag von Christina Özlem Geisler.
Source: Kirche-Oldenburg