Osnabrück (epd). Der Osnabrücker Islamexperte Bülent Ucar sieht den Islam in Deutschland zunehmend in Bedrängnis und unter besonderer Beobachtung. Die Haltung der AfD, die sich unter anderem über die Abgrenzung zum Islam rechtfertige, färbe auf die Gesellschaft ab, weil die Partei mittlerweile in vielen Parlamenten vertreten sei, sagte Ucar in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Eine islamkritische Grundhaltung in Medien und Parteien hat sich weitgehend durchgesetzt und ist mittlerweile normal geworden. Die Existenzberechtigung des gelebten Islam in Deutschland wird wieder in Frage gestellt.»
   
Die politisch Verantwortlichen seien misstrauischer auch aus der Angst heraus, dass sie von rechten Kreisen als zu naiv und nachsichtig beurteilt würden, sagte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. Das mache sich auch in den Islam-Instituten in Deutschland bemerkbar. Obwohl sie sich mittlerweile im Wissenschaftsbetrieb etabliert hätten, habe sich an manchen Einrichtungen eine Tendenz herauskristallisiert, die Wissenschaftler zu bevormunden, erläuterte der Theologe und Religionspädagoge. «Dieser paternalistische Beobachtungsmodus ist nicht gerechtfertigt und muss unterlassen werden.»
   
Die Wissenschaftsfreiheit bei der Berufung von Professorinnen und Professoren sowie bei der Entwicklung von Lehrplänen und Forschungsschwerpunkten gelte auch für die Islamische Theologie und müsse beachtet werden, forderte Ucar. Die Institute hätten letztlich viel zur Versachlichung, Wissensvermittlung und zur differenzierten Betrachtung des Islam im deutschsprachigen Raum beigetragen.
   
Dennoch wünsche er sich auch von den Muslimen und seinen Kollegen, dass sie sich fundierter und lauter zu Wort meldeten, sagte der Professor. Vor einigen Jahren hätten rund 100 Imame in Österreich vor einer repräsentativen Moschee eine Erklärung für Toleranz, Demokratie und Menschenrechte abgegeben. Ähnliche Aktionen seien jetzt auch in Deutschland gefragt: «Wir dürfen die Deutungshoheit über den Islam weder den Rechten noch den Islamisten überlassen.»
   
Langfristig seien auch wissenschaftlich fundierte und verständlich formulierte Erläuterungen in deutscher Sprache darüber notwendig, was den Islam heute ausmache. «Es reicht nicht aus, zu sagen: Der Islam ist Frieden, wenn gleichzeitig im Namen des Islam täglich Menschen massakriert werden.» Ucar zeigte sich optimistisch, dass die Absolventen der Islam-Institute dieser Herausforderung gewachsen seien.
   
Auch die jungen Musliminnen und Muslime verlangten solche Texte. Sie entfremdeten sich zunehmend von den Leitungen der Verbände und Moscheegemeinden. Diese seien gefordert, sich ziviler, demokratischer und transparenter aufzustellen, um dies Generation nicht zu verlieren. Die Verbände und Gemeinden sollten sich nicht von Politikern – welcher Nationalität auch immer – gängeln und bevormunden lassen.

epd

Source: Kirche-Oldenburg